Eine konsumistische Haltung schließt sich gegenüber ihrer Musik von selbst aus, denn die vielseitige, in Kiew ausgebildete Komponistin Anna Korsun verlangt dem Hörer häufig eine konzentrierte Einstellung ab. Sie experimentiert mit Klängen und Geräuschen, gerne um die menschliche Stimme herum, die mit elektronischen Medien, aber auch mit traditionellen Instrumenten verbunden wird. Bei der Preisverleihung des Open Ear Award im Jahr 2018 wurde ihrer Musik eine besondere Unmittelbarkeit zugeschrieben, die Melancholie und Sentimentalität jedoch ausschließt.

Die Kenntnisse und Fertigkeiten, die sie an der Nationalen Musikakademie Kiew, später an der Musikhochschschule München bei Moritz Eggert erwarb, nutzt sie seither verzahnt mit hohem Einsatz: Anna Korsun agiert sowohl als Pianistin und Sängerin als auch Dirigentin und selbstinitiativ vorgehende Komponistin. Sie rief in München, Kiew und Moskau eigene Konzertreihen ins Leben, etwa Evening of Low Music oder 6+1. Ihre Werke wurden auf verschiedenen europäischen Festivals gespielt, sei es im Warschauer Herbst oder bei Musica viva in Lissabon. Sowohl ihrer Kreativität in der Begründung eigener Konzertforen und -formate als auch beim Vordringen in neue tonschöpferische Genres ist ein besonders kraftvoller Zugriff eigen.

Der Ukrainerin wurde 2018 sowohl der begehrte Preis der Villa Massimo in Rom verliehen als auch der Berliner Kunstpreis; sie ging im letzten Jahr ebenso aus dem Impuls Wettbewerb Komponisten für 2023 als Preisträgerin hervor. Ihr Kammermusikstück Marevo, um ein markantes Beispiel zu nennen, bildet vordergründig den Klang von Alarmsirenen ab und sticht durch die eigenwillige Besetzung heraus; es ist für zwei Singende Sägen, für zwei Geigen, zwei Violoncelli und Klavier gesetzt.

Die schwebende Sphäre der lang ausgehaltenen Zusammenklänge, die den Eindruck von Alarmsirenen erwecken (sollen), wird darin durch von Mal zu Mal gesteigerte, zunächst unisonierende, dann aber im Tonvorrat changierende parallel geführte Glissandi in dauerhafte Unruhe versetzt, es werden dabei immer wieder neue harmonische Konstellationen erprobt, die ausgedünnt, enggeführt und in ihrem Spektrum immer wieder aufgeweitet werden. Eine der Hauptcharakteristika ihres Schaffens sowohl als Ausführende und Leitende als auch in der Eigenschaft der Komponistin ist das Timing im Sinne eines stimmigen Einsatzes, der Überraschungseffekte nicht ausschließt. Die Basis statischer Ruhe in einigen von Korsuns Werken lässt an Konzepte ihres Landsmanns Walentyn Silvestrow denken.
Anna Korsun: Aqua sonare (2008) für Klavier
Literatur u.a.
Martin Tchiba: Aus Stille geboren: Die Musik der ukrainischen Komponistin Anna Korsun. In: Neue Zeitschrift für Musik. Bd. 176. 2015. S. 59 – 61.