Dem amerikanischen Musical-Komponisten Stephen Sondheim gelingt es sowohl dramaturgisch als auch musikalisch, in seinem Sweeney Todd die Waage zwischen Thrill und Ironie zu halten. Gerade dort, wo die an sich realistisch eingefädelte Handlung ins Absurde umkippen will, mehren sich die spaßigen Allusionen der Dialoge angesichts des blanken Horrors.

Katja Bildt als Nellie Lovett und Máté Sólyom-Nagy als Benjamin Barker alias Sweeney Todd glückte die Umsetzung eben dieser Momente in Libretto und Partitur an diesem Samstagabend anlässlich der Erfurter Premiere herausragend. Konnten anfänglich auch Zweifel aufkommen, ob es ein guter Einfall war, die um einige spezifisch deutsche Idiome angereicherte Übersetzung zu verwenden statt der mit der Geschichte des amerikanischen Musicals ursächlich verbundenen englischen Originalsprache, so wurden diese im Verlauf der Aufführung dank der über das Maß stimmigen Leistung dieser beiden Protagonisten einigermaßen zerstreut.

Für Regisseur Matthew Ferraro handelte es sich bei dieser Inszenierung am Theater Erfurt (leider) nur um ein Gastspiel, nachdem er mit Madama Butterfly 2014 ebenso hier und erstmals in Europa in Erscheinung getreten war; tatsächlich ist der in New York gebürtige ehemalige Princeton-Student mit seinen Opernproduktionen im gesamten Gebiet der USA völlig ausgelastet.

Seine Umsetzung des Horrorklassikers nach Christopher Bond, die auch schon mit Johnny Depp als mordender Barbier im Kino Erfolge feierte, fühlt sich traditionellen Elementen verpflichtet, wurde das Musical erstmals doch bereits 1979 aufgeführt. Die grauen Häuserfassaden und dunklen Straßenzüge des Bühnenbilds weisen indirekt auf die mangelnde Sicherheit innerhalb einer schon vor Mitte des 19. Jahrhunderts sozial ins Wanken geratenen Gesellschaft der Epoche hin, in der die Kriminalisierung sowohl der Unterschicht als auch die Skrupellosigkeit der herrschenden Kaste massiv um sich griffen.

Schließlich beruht der in seinen monströsen Dimensionen höchstens noch an Jack The Ripper gemahnende Gewaltrausch, in den sich der Barbier stürzt, durch eine unvergleichbare Ungerechtigkeit begründet: Richter Turpin verurteilte ihn einst aufgrund eines nicht von ihm vergangenen Verbrechens und schickte ihn auf eine Gefängnisinsel des Britischen Empire namens Australien. Nach 15 Jahren zurückgekehrt entfaltet sich angesichts der Konfrontation mit dem Verursacher seines Unglücks, das ihn von der Familie trennte, sein Rachedurst.

Die Verstrickung wird komplettiert durch den Umstand, dass Sweeneys Tochter Johanna bei Turpin mit dem sprechenden Namen „Der Schändliche“ als dessen Mündel eingesperrt lebt und dieser sie ehelichen will. Anthony Hope, dargestellt von dem versierten Musicalsänger Thomas Klotz, rettete Sweeney Todd aus der Themse, als er zurückkam, verliebt sich nun aber in Johanna, als er sie auf dem Balkon erblickt, Vom Richter wird er scharf zurückgewiesen, als er sie in seiner Gesellschaft entdeckt.

Johanna wurde zur Erfurter Premiere von Steffi Regner, mit der Rolle bereits vom Oldenburger Staatstheater bestens vertraut, mit großer Einfühlsamkeit und stimmlicher Perfektion verkörpert. Mit ironisch angespitzter und prägnanter Stimme spielt Julian Freibott, der auch schauspielerisch zur ersten Garde des Theaters gehört, den betrügerischen Meisterbarbier Rudolfo Pirelli, der einst Lehrling unter Benjamin Barker, dem späteren Sweeney Todd war und im ersten Akt als dessen bartscherenden Konkurrent um die Gunst der Londoner auftritt.

In einigen Teilen ist das Musical von Stephen Sondheim, der die Gesangstexte selbst verfasste, der Gattung Operette verpflichtet; Dirigentin Claudia Patanè arbeitete diesen Aspekt der Partitur demonstrativ heraus ebenso wie sie den Passagen, in denen die stakkatierte, auf Primrepetition beruhende Untermalung des Horriblen ganz nach dem Vorbild von Hitchcocks Film Psycho seinen nervenkitzelnden Eindruck nicht verfehlen soll.

Neben den eher biederen Interieurs, die die schlichte Bürgerlichkeit des Daseins von Mrs. Lovett und dem Barbier Todd unterstreichen soll, gelang der Lichtregie von Torsten Bante unter anderem mit ihrem dezenten Einsatz der dramaturgisch konstitutiven Farbe Rot ein überzeugendes Arrangement. Dagegen brillierte neben den Rollensängern, darunter auch Tom Schimon und Kammersänger Jörg Rathmann, der Opernchor des Theaters, in den Soli einstudiert von Roberto Secilia, insbesondere im zweiten Akt in allen nur denkbaren Klangfarben und -schattierungen.