Vom trällernden Kellner zum Publikumsmagneten

Eine wahrhaft abenteuerliche und zudem eine der dauerhaftesten Komponistenkarrieren des 20. Jahrhunderts: Israel Baline wanderte mit seinen Eltern aus dem sibirischen Temun aus, entzog sich im frühen Alter von 14 Jahren deren Obhut und verdingte sich als singender Kellner in einem New Yorker Kaffeehaus. Spätestens hier entwickelte er sein Talent und seinen langen Atem für die Laufbahn als Song Writer, ganz abgesehen davon, dass Irving Berlin, wie er sich später nannte, schließlich auf das Podest neben Cole Porter und George Gershwin rückte und zahlreiche Musicals wie Watch Your Step oder Mrs. Liberty schrieb.

Cover der Liedausgabe von „They Were All Out of Step But Jim“ (cover art, 1918, US p.d.)

In der großen Zeit des Broadway stand Irving Berlin, der für Jerome Kern die Verkörperung der USA selbst darstellte, ebenso häufig auf der Bühne wie seine Kolleg(inn)en und Konkurrenten und begleitete deren Weg über einen langen Zeitraum. Auch dem neuen Medium Film galt seine Aufmerksamkeit und er komponierte zahlreiche instrumental-orchestrale Tanzpartien für das Kino, man denke etwa an Second Fiddle (1936) oder There’s No Business Like Show Business (1954). Erstaunlich genug, dass er es am Klavier als Autodidakt zum gefeierten Star brachte, machte er es sich damit nicht einfach: Kurioserweise stehen alle seine Übungsstücke aus dieser Zeit in Fis-Dur …

Irving Berlin (stehend) und Tony Martin 1951 singen gemeinsam an „ihrem“ Instrument (Pre-1978, CC-Liz.)

Das ziemlich große Selbstbewusstsein, das Irving Berlin als ausgerissener Jugendlicher mit nicht beendeter Schulausbildung, aber wachsendem Erfolg als Sänger, über wenige Jahre gewann, machte ihn zu einem international renommierten Musiker und er hatte das Glück, am Broadway in seiner besten und produktivsten Zeit aktiv sein zu können, Hektik, Stress, harte Rivalität und Überarbeitung selbstverständlich eingeschlossen.

Etwa so darf man sich wohl den Start von Irving Berlins Aufstieg am New Yorker Musikhimmel vorstellen (Surflight Theatre, The Showplace White Staff, Detail, 16.7.2013, CC-Liz.).

Bereits Berlins erste Broadway Show im Jahr 1911 zündete und er blieb dem Genre bis weit in die 1950er hinein treu, unter anderem mit so bekannten Aufführungen wie Call Me Madam (1950).

In der Great American Songbook Hall of Fame wird Irving Berlins an prominenter Stelle gedacht … (Shiel Sexton Songbook Lounge at The Palladium, TheSongbook, 7.7.2010, CC-Liz.)

Last but not least gründete er sein eigenes Theater Music Box Revues und trug damit wesentlich zum weltweiten Ruf des Broadway bei. Mit seinem Schlager God Bless America (1938) verdiente er die wohl größte Summe, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts jemals erreicht wurde und spendete 10 Millionen Dollar an die amerikanische Regierung.

Erste Seite eines der an die 1.500 (!) Songs von Irving Berlin (1888 – 1989) mit Klavierbegleitung oder für Musical und Film komponierten Lieder: „The International Rag“ (2 Duke University, US p.d.)


Literatur u.a.

Edward Jablonski: Irving Berlin: American Troubadour. New York 1999.

Geffrey Magee: Irving Berlin’s American Musical Theatre. New York u.a. 2012.

Dominic McHugh: „I’ll never know exactly who did what“. Broadway composers as musical collaborators. In: Journal of the American Musicological Society. Bd. 68. 2015. 3, S. 605 – 652.

Benjamin Sears: The Irving Berlin Reader. New York u.a. 2012.