Aus Guatemalas Schnörkelzeit

Beim Wettrennen der damaligen, meist alles andere als menschenfreundlichen Supermächte, die sich aus handfesten nationalwirtschaftlichen Interessen einen Platz an der Sonne in den Kolonien sichern wollten, gelangten niederländische und vor allem spanische Kirchenmusiker im Tross der Eroberer in die mesoamerikanische Welt. Dementsprechend wurde auch in den ersten (katholischen) Gotteshäusern Guatemalas, am westlichen Rand der Karibik gelegen, zunächst neben lateinischen Gesängen in flämischer und spanischer Sprache gesungen.

Die hohe Popularität der Harfe in der Kirchenmusik der Barockzeit Guatemalas spiegelt sich auch in dem Umstand, dass ihr Spiel selbst heute in den Straßen von Guatemala City gepflegt wird (Paseo de la Sexta, Foto: Alfredo José de García, 4.8.2013, CC-Liz.).

In der Renaissancezeit wurde die Liturgie musikhistorisch betrachtet von der Gregorianik und der Polyphonie der lateinischen Messe getragen. Da die niederländische Mehr- und Vielstimmigkeit überall in der westlichen Hemisphäre triumphierte, setzten sich deren wenige Meister ebenso in der Kolonie durch. Traten im 16. Jahrhundert die Komponisten Hernando Franco und Pedro Bermúdez hervor, so trug der etwas jüngere Organist Gaspar Fernandes auf der Basis portugiesischer geistlicher Musik Wesentliches zum Repertoire Mittelamerikas bei. Zunächst residierte der zum Kapellmeister avancierende Musiker und Chorleiter in Antigua Guatemala, dann im mexikanischen Puebla de los Ángeles.

Kolonialarchitektur in Guatemala City (Tom Pratt, 2001, CC-Liz.)

 

Die Konventionen, die diese unangefochtenen Experten ihrer Epoche in Guatemala mitgebracht und im Sinne der Weiterpflege und -entwicklung getragen hatten, setzten sich wie in einer großen Melange unter Anreicherung neuerer europäischer Stile noch bis weit ins 18. Jahrhundert fort: Ein Verleger theologischer und philosophischer Werke unter dem Dach des Franziskanerordens, Manuel Joseph de Quirós, wurde um 1690 bereits in der Hauptstadt Antigua geboren und absolvierte keinerlei Studium; dennoch rückte er, ernannt durch den residierenden Bischof, in den Stand eines Kapellmeisters auf. Ihm sind eine Vielzahl von (instrumental begleiteten) Villancicos zu den Festen des Jahres zu verdanken, so etwa das Lied Jesús, Jesús y lo que subes, aber auch eine vom Tanz beeinflusste Xacarilla, daneben der lateinischen Messe sekundierende Vokalstücke.

Eine große Rolle spielte im Laufe des 18. Jahrhunderts in Guatemala ebenso wie in Bolivien übrigens populäre italienische Musik, etwa von Facco und Galuppi (Arts Productions, ASIN: B001SIYXCY, 2008).

Bemerkenswert am zu dieser Zeit vorherrschenden Stil ist die Mischung aus (spät-)barocker Manier, Gregorianik und regionalen Elementen. Sie wurde auch vom eine Generation jüngeren Geiger und Harfenisten Rafael Antonio Castellanos (1725 – 1791) praktiziert, dessen Kompositionen durch ihre große Kunstfertigkeit und Expressivität zum Ende seines künstlerischen Schaffens hin rasch Verbreitung fanden, wenn sie auch „verspätet“ und noch wenig vom Geist des galanten Stils bestimmt waren.

Der große äußerlich verursachte Bruch, das Erdbeben von Antigua im Jahr 1773, bedeutete jedoch keine Einschränkung von Castellanos‘ Beiträgen zur Kirchenmusik, die er mit gleicher Qualität weitergestaltete. Anders als von Manuel Joseph de Quirós sind von ihm zahlreiche Kantaten bekannt, die nicht alleine aus europäischen Quellen, sondern vor allem von den gleichzeitig weiterkomponierten Villancicos gespeist wurden. Nachdenkenswert erscheint bereits der Titel der 1774 entstandenen Kantate Si eres fénix sagrado: Sollte mit dieser Musik das neu zu erbauende Antigua, gleichsam ein „Phönix aus der Asche“, heraufbeschworen werden?

Manuel Joseph de Quirós: Luzid, fragante Rosa

 


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