Große Hommage an die Alpennordkante

Zweier Komponisten der nördlichen Grenzregion der ehemaligen Habsburger mit der Wittelsbacher Monarchie wurde an den letzten beiden Abenden gedacht, Salzburgs und Münchens mit dem bayerischen Anteil der Alpen. Von Provinzialität kann in beiden Fällen nicht die Rede sein: Denn sowohl W.A. Mozart als auch Richard Strauss bewegten sich trotz weniger Gemeinsamkeiten zu Lebzeiten in einem weitgespannten europäischen Wirkungskreis.

Der indische Flötist Joy Dutt, ehemaliger Schüler von Hans Joachim Koellreutter und Duo-Partner von Reinhard Wolschina, ist seit vier Dekaden – gänzlich ohne Konzertfehlzeiten – Mitglied des Philharmonischen Orchesters Erfurt (Liz. Theater Erfurt).

Für Joy Dutt, den aus Kalkutta stammenden Solisten von Mozarts erstem Flötenkonzert G-Dur KV 313 und nunmehr 40 Jahre beständig im Philharmonischen Orchester Erfurt aktiv, war es ein großer und sicher auch schmerzlicher Abschied mit gleichzeitiger Perspektive auf weitere Einsätze mit diesem Klangkörper und den Musikerkolleg(inne)n, die ihm ans Herz gewachsen waren, allen voran dem Cellisten Eugen Mantu. Die sehr unterschiedlichen Charaktere des langsamen Mittelsatzes, Adagio non troppo, und des dritten Satzes, eines Rondo: Tempo di Minuetto, arbeitete Myron Michailidis als Dirigent der Abende markant und eingängig heraus.

GMD Myron Michailidis bot dem Publikum im ausverkauften Saal des Großen Hauses des Theaters Erfurt einmal mehr zwei brillante Konzertabende (12., 13.9.2019; Bild: Theater Erfurt).

Der in besonderem Maße barocken Mustern verpflichtete artifiziell-kontrapunktische langsame Teil gelang angemessen kantabel und wurde vom Solisten mit verinnerlichter Emphase vorgetragen, im dritten wurde der tänzerische und heiter gelöste melodische Duktus offenkundig, bravourös und mit pointiertem Witz hochindividuell sekundiert von den Gruppen der Bläser, der hohen und der tiefen Streicher. Als Zugabe ließ Joy Dutt mit Debussys Syrinx die Flöte ein weiteres Mal tanzen.

Das Lupophon, seltener benutzte Variante der Klasse der Heckelphone (im Bild) aus der Oboenfamilie, kommt in Strauss‘ ‚Alpensinfonie‘ op. 64 zu bravourösem Einsatz (Mezzofortist, August 2005, GNU Free Doc. Lic., Ausschnitt).

Anders als prominente Vorgänger wie Vivaldi (Le quattro stagioni) und Beethoven (Pastorale) richtete Richard Strauss seine Alpensinfonie op. 64, komponiert im Alter von knapp fünfzig Jahren zwischen 1914 und 1915, nicht nach gängiger Satzabfolge ein, sondern ganz im Sinne einer Tondichtung, in kleineren, insgesamt 22 Episoden, die von einer großen motivisch-thematischen Klammer zusammengehalten werden. Gerade diesem Aspekt widmete Michailidis am Donnerstag- und Freitagabend seine ganze Aufmerksamkeit; so entstand das Gewebe eines in sich konsistenten Klangteppichs, der Eindruck eines einzigen, dynamisch in flacher Steigerung gehaltenen Gemäldes, vergleichbar hierin beinahe nur mit Mahlers 2. Symphonie.

Diese Aussicht auf die Alpspitze im Wettersteingebirge hatte Richard Strauss auch ganz in der Nähe seines Domizils in Garmisch (4.12.2005, Tk, GNU Free Doc. Lic.).

Längere Wanderungen im Hochgebirge waren dem Münchner Komponisten seit jeher vertraut und so wusste er die Stimmungen, die sich in den Alpen aus den wechselnden Naturphänomenen an einem Sommertag entfalten können, im einzelnen, unter zusätzlicher Verwendung einer zweiten Harfe, der Orgel und der „Kuhglocken“, klanglich auszukosten – ungeachtet der im Repertoire etablierten Konventionen, denen bei einem solchen Unterfangen nahezu zwangsläufig gefolgt wurde, einschließlich der Evokationen an die Jagd aus Bruckners „romantischer“ 4. Symphonie Es-Dur.

Spielplan des Theaters Erfurt

 

 


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