Wenn der zweite Preis zum ersten wird

Würden heute aktive Orchesterleiterinnen mit der gebetsmühlenartig vorgebrachten Standardfrage behelligt, was ihre Kunst von der männlicher Kollegen unterscheidet, würde wohl Mirga Gražinyte-Tyla neben Joana Mallwitz antworten: „Nichts!“ oder wenigstens „Nicht hinsichtlich der Resultate!“ Diese Unterstellung trifft sicher auf eine gleichfalls litauische Newcomerin am Pult ebenso zu: auf die 1989 in Vilnius geborene Giedrė Šlekytė; beinahe ließe sich vermuten, dass die litauische Lebens- und Musiksphäre solche Karrieren befördert.

‚Rusalka‘ ist an der Opera Vlaanderen zu Antwerpen ab 12. Dezember 2019 zu sehen; es dirigiert Giedrė Šlekytė (Jean Housen, 23.7.2011, CC-Liz.).

Nun ist aber die in Graz, Leipzig, Zürich und durch Bernard Haitink sowie Riccardo Muti und Nicolás Pasquet ausgebildete Sängerin, die zunächst gerne Journalistin oder Tänzerin geworden wäre, aufgrund der Fülle von Auftrittsterminen derzeit sicherlich kaum in der Lage, sich introversiv mit Gender oder narzisstischen Reflexionen zu befassen. Dabei kann sie mit Engagementanfragen diverser Orchester europaweit und über den Kontinent hinaus täglich rechnen.

Die litauische Newcomerin leitete in Klagenfurt die Aufführung von Donizettis ‚Maria Stuarda‘ (Libretto, 1835, It p.d.).

Wechseln Manager auf der Autobahn permanent die Spur, um rasch voranzukommen, so lässt sich dasselbe von Giedrė Šlekytės Einsätzen, die sie bereits nach Göteborg und Stockholm führten, sagen: In der eben erst zu Ende gehenden Saison 2018/19 war sie nach zwei Jahren als Erste Klagenfurter Kapellmeisterin in Dresden an der Semperoper ebenso wie mit dem hr-Sinfonieorchester, in Zürich, Leipzig, Basel oder Mainz mit breitgefächertem klassisch-romantisch-modernem Repertoire unterwegs, das von Mozart bis (über) Schreker (hinaus) reicht. En passant sammelte der aufsteigende Stern am Dirigentenfirmament so manchen Preis ein: Da sie beim zyprischen Wettbewerb Solon Michaelides 2013 mit knapp 24 Jahren den zweiten Platz erlangte, der erste Preis aber nicht vergeben wurde, wurde sie damit dessen Gewinnerin „de facto“. Zwei Jahre danach wurde sie für den Salzburg Festival Young Conductors Award nominiert und gewann ebenso 2015 den Malko-Dirigentenwettbewerb.

Entwurf von Petrov Vodkin zu Mozarts Oper ‚Le nozze di Figaro‘, die Giedre Slekte im Oktober in Vilnius dirigieren wird (01-Ru-p.d..).

Ihrer Neigung zum Chorgesang entsprechend konnte sich Šlekytė den International Opera Award 2018 in der Kategorie Newcomer sichern und wird auch in Zukunft mit Vorliebe an der Oper tätig sein, wofür ihre bravourösen Aufführungen zuletzt mit Schrekers Gezeichneten, mit Hänsel und Gretel sowie Schwanensee, in Klagenfurt schon mit Maria Stuarda oder La Traviata sprechen. Im Oktober wird sie in Vilnius Le nozze di Figaro, zum Jahreswechsel in Belgien Rusalka dirigieren.

Giedrė Šlekytė mit dem MDR Sinfonieorchester: Scheherazade

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