Ganz im Zeichen Mozarts standen der Donnerstag- und der Freitagabend der zurückliegenden Woche am Theater Erfurt. Da es sich erklärtermaßen um einen Langstreckenlauf handelte, reichte das Großevent bis in die tiefere Nacht hinein. Im Mittelpunkt stand nicht unbedingt das Wunderkind mit melodieseligen Evergreens, sondern eine facettenreiche Persönlichkeit, die, wie die Komposition des Musikalischen Spaßes als bewusst gewähltes Musterbeispiel des schlechten Geschmacks zeigt, auch über sich selbst und andere lachen konnte (die Allusion an Stil und Gangart einer von Wien aus gesehen in weiter Ferne entstandenen Wassermusik liegen auf dem Ohr).

Samuel Bächlis Idee, die weniger bekannten Seiten des Salzburger Genies anlässlich eines in dessen Zeit gängigen Akademiekonzerts vorzuführen, fand ihren Ausdruck auch verbal, dito in einer durchgängigen, informativen wie humorigen Kommentierung durch den Dirigenten als Leitfaden zum Gesamtprogramm. Seiner schieren Länge wegen wurde der Konzertabend von zwei Pausen unterbrochen. Ein „Schön, dass Sie noch da sind“ stand entsprechend am Beginn des dritten Teils, dokumentiert aber gleichzeitig das Vergnügen des keineswegs ermüdeten Publikums an der abwechslungsreichen Folge chronologisch und genretypisch völlig heterogener Stücke. Dabei bildeten die Klavierkonzerte C-Dur KV 467 und d-Moll KV 466, beide aus der späten mittleren Schaffenszeit um 1785, die Klammer, die alles zusammenhielt und den Abend abrundete. Die Ouvertüre machten Mozarts kontrapunktisch raffinierte Sechs deutsche Tänze für Orchester und die Konzertarie Vado, ma dove, vorgetragen von Sopranistin Daniela Gerstenmeyer.

Von Lorenzo Da Pontes und Mozarts Oper Lo sposo deluso ist leider nur ein längerer Teil des ersten Akts erhalten, den das Philharmonische Orchester Erfurt in „klassischer“ Besetzung und dem Jahrgang 1777 gemäß ohne die Klarinetten präsentierte. In der konzertanten Aufführung erklang zunächst das Terzett mit dem „enttäuschten Bräutigam“, mimisch und gesanglich brillant von Siyabulela Ntlale vorgestellt, der das am Ende glückhafte junge Liebespaar konfrontiert, letzteres lupenrein gesungen von den Stimmen Daniela Gerstenmeyers und Julian Freibotts. Im Anschluss war das um den dahinter nicht zurückstehenden Tenor Tobias Schäfer ergänzte Quartett aus dem Opernfragment zu hören.

Norwegische Pianisten treten, von Leif Ove Andsnes vielleicht abgesehen, eher selten auf deutschen Bühnen in Erscheinung. Umso mehr begeisterte die Interpretation der beiden Klavierkonzerte die Gäste des Erfurter Theaters. Kristian Lindberg zählt zu den bestbewerteten Pianisten weltweit und kennt die großen Konzerthäuser inklusive New Yorker Carnegie Hall und Concertgebouw Amsterdam, die Säle in Wien, Berlin, Bangkok und Kyoto. Der Ruf kommt nicht von ungefähr: Er verfügt über einen kühl-klaren, wenn man so will nordischen Ton und kommt damit eher dem lyrischen Klavierstil Edvard Griegs nahe, hingegen ist ihm elegisches Ausspielen der langsamen Abschnitte, vor allem der zweiten Sätze, das manche skandinavischen KollegInnen durchaus kennen, gänzlich fremd. Noch weiter aber ist er von Sentimentalität und Pathos entfernt.

Hier hat sich raffinierte Kunst aus einem handwerklichen Grundverständnis von Komposition und Anschlagstechnik herauskristallisiert, die man beinahe als Alleinstellungsmerkmal ebendieses in Oslo und im englischen Devon beheimateten Solisten bezeichnen kann. An der Grenze zwischen Bühne und Auditorium fand er im modernen Theater Erfurt geradezu ideale akustische Bedingungen für sein glänzendes Spiel zwischen Motorik und Gleichmaß vor. Im „(prä)romantischen“ d-Moll-Konzert wählte Kristian Lindberg, den mit einem schwedischen Posaunenvirtuosen und Dirigenten weitgehende Namensähnlichkeit verbindet, die um Beethovens Kadenzen ergänzte Version.

Den Abschluss des zweiten Teils bildete der solistische Auftritt des erst seit 2016 fest zum Ensemble des Philharmonischen Orchesters Erfurt zählenden Tristan Hertweck, der hier mit Mozarts wohl beliebtestem Konzert für Horn und Orchester Nr. 2 in Es-Dur brillierte. Als Samuel Bächli die virtuose Solokadenz des in Karlsruhe absolvierten Hornisten zu lange wurde, sah er ihn von schräg hinten an, während der Spielende dies vorerst nicht zur Kenntnis nahm und weiterblies. Andererseits musste Konzertmeisterin Stephanie Appelhans (zum Beenden des vielfachen Applauses ganz am Schluss vom Dirigenten wie zum Gläschen Wein um die Ecke entführt), ihn zu seinem nächsten Einsatz aus der Generalpausenlethargie wecken indem sie ihm den Anfang seines Parts vorgab …
Nicht zuletzt seien vom zweiten Konzertteil die vier Zwischenspiele aus Mozarts Schauspielmusik Thamos, König in Ägypten, die voll Dramatik einen martialischen Stoff um Herrschaftsansprüche abbilden, erwähnt. In den Reihen der Bläser gelangen die unisono geführten Passagen der Fagotten mit den Klarinetten um Jens Kaiser vollendet, die Oboen mit Jeein Jung spielten sich vor allem in den flotteren Durchgängen farbkräftig in den Vordergrund. Ungeachtet des mit heiterer Unterhaltung passend zur fünften Jahreszeit garnierten, nahezu muntersten Konzertstreichs Mozarts überhaupt, dem Hornkonzert, vergaß Samuel Bächli nicht die ernste kirchliche Zeit in Folge: Die Passionsarie Ave Verum, ausgeführt vom Gesangsquartett des Abends, ergänzte das Mozart-Bild um eine weitere Facette: den ernsten Ton seiner sehr in barock-polyphoner Tradition gehaltenen Kirchenmusik.