Silvesterlaune vor Weihnachten

Nicht alleine, dass die Kontrabässe sich in Adrian Müllers Inszenierung der beiden vergangenen symphonischen Abende am Theater Erfurt plötzlich hinter den ersten Geigen und der Harfe wiederfinden mussten (was sich raumklanglich als vollkommen sinnvoll erwies) – auf dem Plan stand auch komplett alljahrstaugliches, fast ausnahmslos selten im Saal gehörtes Repertoire. Dirigent und Programmteam vermieden geschickt jegliche Anspielung auf die Adventszeit und Christi Geburt, abgesehen davon vielleicht, dass sich der Broadway, dem die Kompositionen Gottfried von Einems und Roland Baumgartners nicht zuletzt zuspielten, seit Gershwins Epoche permanent in Weihnachtsfeierstimmung befindet …

Franz Schuberts Ouvertüre zum Schauspiel ‚Die Zauberharfe‘ (1820) erfreut sich immer größerer Popularität beim Konzertpublikum, so auch im Theater Erfurt am 20. und 21.12.2018 (hier: Harfenistin im Saal des Kutlur- und Kongresszentrums Luzern, 4.9.2013, CC-Liz.).

Und das, obwohl gerade Adrian Müller erst letztes Jahr bei seinem Comeback an die Hamburgische Staatsoper mit Erfolg Hänsel und Gretel aufführte, gewissermaßen ein auf deutschen Bühnen unabdingbares Stück Weihnachten, zumal es der Oper an religiösen Bezügen nicht mangelt. Mag sein, dass zur Zeit, nachdem die kommerzielle Ausschlachtung des Fests ihren Zenit endgültig überschritten hat, die Vermeidung weihnachtlicher Themen en vogue ist – darauf könnte auch ein Trend bei den Radiosendern hindeuten, die seit ein paar Wochen tagfüllend die Hörer mit Wiener Klassik erster Schule bedienen, also mit einer Stilperiode, in der (in Mitteleuropa) wenig bis gar keine Weihnachtsmusik entstand.

Titelseite des Erstdrucks von Beethovens 4. Klavierkonzert G-Dur aus dem Jahr 1808 (Wien, Bureau des Arts et d’industrie, 4.2.2012, p.d.)

Solche Umstände schmälern aber in keiner Weise den berechtigten Applaus, der an beiden Abenden aufbrandete: Der erhabenen Leistung am Pult entsprach das Philharmonische Orchester Erfurt, verstärkt durch die Musiker der Philharmonie Gotha-Eisenach nahezu gänzlich. Besonders dürfte sich der Besuch so kurz vor den Feiertagen auch gelohnt haben, weil der noch nicht gebührend ins Rampenlicht gerückte gebürtige Eisenacher Pianist Florian Heinisch, Jahrgang 1990, mit einer alternativen Interpretation von Beethovens Klavierkonzert Nr. 4 G-Dur aufwartete.

Der Deutsch-Schweizer Dirigent Adrian Müller ist beruflich an der Staatsoper Hamburg beheimatet; in Erfurt feierte er anlässlich des 4. Sinfoniekonzerts der Saison wiederum einen großen Erfolg (Theater Erfurt).

Frühere Interpretationen mochten die schnellen Läufe des ständig mit dem Orchester im Dialog befindlichen Klavierparts nach Akzentuierung des ersten Akkords in Hall und Donner untergehen lassen, Heinisch fand hingegen einen der Frühromantik und damit Beethovens Überschreiten der Grenzen angemessenen Anschlag, der sowohl das vermeintliche Gleichmaß klassischer Ästhetik mied als auch eine neue, teils vielleicht mehr an Schubert orientierte Lesart zu Gehör brachte. Gespannt darf das Hamburger (und auswärtige) Publikum auf das Elbphilharmonie-Debüt von Florian Heinisch im Februar 2019 sein, der derzeit Stipendiat der Londoner Stiftung The Keyboard Charitable ist.

Das Programm sah zum Beginn des Abends passend Franz Schuberts Ouvertüre zum Zauberspiel Die Zauberharfe aus dem Jahr 1820 – als Vorspiel zu einem nur wenige Male aufgeführten und letztlich durchgefallenen Schauspiel von Georg von Hofmann – vor. Die Ouvertüre ist gemessen an anderen symphonischen Werken des jung verstorbenen Wiener Komponisten eher ungewöhnlich, da sie nach der tragischen Einleitung einmal den munteren Geist Mozarts beschwört, unbeschwert und heiter klingt, hier und da melodisch aber auch der romantischen italienischen Oper zuzuspielen scheint.

Das Theater Erfurt schob anlässlich des 4. Sinfoniekonzerts 2018/19 auch einmal außerweihnachtliches Programm ein (Oliver Kumis, 11.2.2006, CC-Liz.).

Der gesamte Teil nach der Pause war klanglich den vielfältig sich kreuzenden Genres US-amerikanischer, insbesondere New Yorker Kunstmusik im 20. Jahrhundert gewidmet. Dennoch gab es mit dem 100. Geburtstag Gottfried von Einems (1918 – 1996), eines weitgehend der Tonalität verpflichteten Tonkünstlers, in diesem Jahr einen konkreten Anlass, gerade seinen Beitrag mit der Philadelphia Symphony op. 28 von 1961 durch eine Aufführung zu würdigen. Das glänzend durchinstrumentierte Werk ist wie aus einem Guss und von der komplexen Rhythmik und Harmonik diverser Stilrichtungen von Swing über schwarzen Blues bis zum Musical späterer Zeit erfüllt; es fällt schwer, in dem Urheber einen in Wien lebenden deutsch-ungarisch-österreichischen Kompositionsprofessor klanglich zu identifizieren. Die meisterliche Arbeit setzt der Geburtsstadt der amerikanischen Verfassung ein ehrendes Denkmal.

Studierte bei Leonard Bernstein: der Komponist Roland Baumgartner (geb. 1955) hier bei einer Probe als Chef des ORF Radio-Symphonieorchesters (8.8.2017, CC-Liz.).

Dieses denkwürdige 4. Sinfoniekonzert der Saison beschloss eine mit Schlagwerk und virtuosen Blechbläserpassagen reichlich bedachte Suite als neu konzipierte Mischung aus Instrumentals der Oper Maria Theresia eines vormaligen österreichischen Kompositionsschülers Leonard Bernsteins, Roland Baumgartner. Am Donnerstagabend fand am Theater Erfurt die Uraufführung statt!

Mit Vorliebe widmet sich der auch als Dirigent erfolgreiche Komponist Persönlichkeiten der Geschichte, die er symphonisch in ihrer Entwicklung und Eigenart porträtiert, unter anderem auch Martin Luther, Friedensreich Hundertwasser und Marilyn Monroe. Freilich lässt sich hinter der sehr US-amerikanischen Schreibweise der Suite die einstige Königin des Habsburgerreichs zunächst kaum erkennen, wären hier nicht melodische Elemente aus ihrer Regierungszeit mitverarbeitet.

Spielplan des Theaters Erfurt

 


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