Was (nicht erst) morgen gebraut und gebacken wird

Unabhängige Wissenschaft bringt, was gelegentlich übersehen wird, nicht nur Blüten der Erkenntnis hervor, sondern trägt wesentlich zur gesellschaftlichen wie wirtschaftlichen Entwicklung bei; wo sie in einem Staat fehlt oder deutlich eingeschränkt ist, darf getrost von geist- und damit menschenfeindlicher Diktatur gesprochen werden. Die Freiheit der Wissenschaft kann freilich nur soweit reichen wie sich unsere Spezies selbst damit nicht (in Zukunft) schadet oder ihre Lebensgrundlagen untergräbt: Ungebremste Industrialisierung und Verschwendung von Ressourcen unterliegen daher ethischen Kriterien ebenso wie bloßes Experimentieren mit den menschlichen Erbanlagen ohne ausreichendes humanbiologisches Wissen und Selbstverantwortung – was nicht erst der aktuelle Fall aus China zeigte.

Brauen, Kochen, Abschmecken: sprichwörtliche Arbeit in einer „Forschungsküche“ (Cuina cientifica, Fundació Alícia, 2008, E p.d.)

Vergleichbare Sorgen muss sich die Musikwissenschaft wohl nicht machen, es sei denn, ein intelligent trainierter Roboter könnte statt eines Komponisten oder Musikers entsprechende menschliche Möglichkeiten komplett ersetzen – was aber aufgrund des hochkomplexen (und nicht aus der DNA ablesbaren) Zusammenspiels von Emotionalität und Denken nicht funktionieren wird. Der Computer kann eben deshalb auch keine tragfähigen Entscheidungen treffen, wenn es um Interdisziplinarität geht.

Wie die Wissenschaft wächst, Zweige und Blüten hervortreibt: Kunstbaum auf dem Campus der Europa-Univ. Flensburg, an deren Musikinstitut interdisziplinär geforscht wird (Marseille77, 7.7.2018, CC-Liz.).

So hätten etwa die zwischen verschiedenen Fachgebieten angelegten Projekte an der Europa-Universität Flensburg keine vernünftige Basis, wären sie beliebig und nicht in der Historie und in spezifisch – maschinell unnachahmlichen – menschlichen Synästhesien angelegt. Priorität haben – vom gerade auch praxisorientierten musikpädagogischen Schwerpunkt des Instituts ausgehend – hier derzeit Arbeiten, die sich mit Musik und Raum, Musik und Spiel sowie Musik und Inklusion beschäftigen. Beispielsweise betreut Bernd Scherers Dissertationsvorhaben, die einerseits musikgeschichtlich, zum anderen instrumentalpädagogisch orientiert sind – und auch hier sind Schnittmengen möglich.

594 Walzenrollen „erbte“ das Institut für Musikwissenschaft in Frankfurt a.M. von der Firma J.D. Philipps, die bis 1929 elektrische Klaviere und Kunstspielapparate produzierte (Detail eines Philipps-Walzenklaviers (November 2006 aufgenommen, KarlKunde, GNU Free Doc. Lic.).

 

 

Denkt man an geistigen Wurzeln der Stadt Frankfurt am Main nach dem Zweiten Weltkrieg im Sinne eines Neuanfangs, fällt einem die musikästhetische Ausrichtung Theodor W. Adornos einschließlich der Musiksoziologie ein, die lange die Hauptrichtung am musikwissenschaftlichen Institut der Goethe-Universität bestimmte und wesentliche Studien hervorbrachte. Eine Neuausrichtung folgte mit den Schwerpunkten Interpretation, Edition und Medienkonstellationen, wobei eine vornehmlich am Musiktheater und Performanz ausgerichtete Orientierung nicht zurücksteht.

Hierzu zählt das Entstehen der historisch-kritischen Ausgabe der Bühnenwerke Christoph Willibald Glucks und Bernd Alois Zimmermanns einschließlich ermittelter Briefe und Schriften. Das Projekt OPERA sucht in Einzeleditionen das breite „Spektrum des europäischen Musiktheaters“ zu erfassen und letztlich auch auszuwerten. Neben einer Digitalisierung von Webers Freischütz widmet sich das Institut unter der Leitung von Britta Schulmeyer den für das Walzenklavier geschaffenen 954 (!) Klavierrollen der Firma Philipps; ein einst dafür gebautes Instrument steht dem Institut zur Verfügung.

Wo der Geist frei schweifen kann: Zentrale Bibliothek der Karl-Franzens-Universität Graz, an deren musikwissenschaftlichem Institut neue Publikationen entstehen (Dr. Marcus Gossler, 2.9.2003, GNU Free Doc. Lic.)

Hohe Varietät weisen die Projekte am musikwissenschaftlichen Institut der Karl-Franzens-Universität Graz auf. Medientheoretisch ebenso wie kulturanthropologisch und evolutionspsychologisch fundiert sind Werner Jauks jüngste Forschungen zur partiellen Interdependenz von Pop-Musik und Medien-Kultur. Musik erweist sich als Form gewordener Ausdruck von Wahrnehmungen des hörenden Körpers innerhalb der Pop-Digitalkultur.

Saskia Jaszoltowski untersucht in Graz Erinnerungsorte von Musik, deren Eigenart nicht in ihrer Stilgebung liegt, sondern darin, dass sie kulturhistorische Kulminationspunkte darstellen; Prof. Michael Walter beschäftigt sich eingehend mit der Geschichte der Oper als einer Institution; auf die wohl bald erscheinende Publikation dürfte nicht nur die Fachwelt, sondern auch die breite Öffentlichkeit gespannt sein. Dem Thema Genese und Perzeption ästhetischer Konzepte in der zeitgenössischen Musik des 20. und 21. Jahrhunderts geht Monika Voithofer nach, um so zu einer Theorie (und Praxis) von Konzeptmusik zu gelangen, während Martina Bratić auf die in letzter Zeit häufig gestellte Frage nach der Identifizierbarkeit genuin femininer Elemente in „weiblicher“ Musik wissenschaftlich begründete Antworten geben wird.

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