Barockes São Paulo

Wie im Falle anderer Städte Lateinamerikas war die Kunstmusik der ebenso historisch wie städtebaulich herausragenden Metropole São Paulo hauptsächlich durch die Kirche, ihre Orgel- und Chortraditionen geprägt. Bemerkenswert ist jedoch im Falle der von Portugal ebenso wie von Spanien eroberten Gebiete der Neuen Welt, dass Instrumente aus der Indio-Kultur in die christliche Religionsausübung einbezogen wurden und keineswegs nur auf der Straße oder in den Häusern der einheimischen Bevölkerung zu hören waren. Die zunehmende Teilnahme der Einwohner der eroberten Regionen an den Messen kommt hinzu, so dass nicht völlig von einer aufoktroyierten und durch Zwangstaufen regulierten Ausübung christlicher Religionskultur gesprochen werden darf.

Heute hängt das Bild, das Frans Post im 17. Jahrhundert vom Wasserfall Paulo Afonso malte, im Kunstmuseum von São Paulo (1649; Br p.d.).

Bei alledem ist nicht zu übersehen, dass durch die Aktivitäten der Jesuiten, deren dunkle Seiten im Zuge der Missionierung damit nicht relativiert werden sollen, rege Bemühungen um die Aufführung von Theaterstücken bereits im 16. Jahrhundert nachweisbar sind. Von dem Pater José de Anchieta, der seit 1553 in Brasilien wirkte und 1597 im Ort Reritiba starb, ist ein Repertorium erhalten, das neben Beispielen dramatischer Texte auch Lieder, Gedichte und andere Versdichtungen beinhaltet. Damit war ein Grundstein auch für die Überlieferung solcher und ähnlicher praktisch nutzbarer (und ebenso weltlicher) Materialien bis in die Barockzeit hinein gelegt.

Obwohl vereinzelt aus Spanien in die Neue Welt importierte Chaconas auch ins frühkolonialzeitliche Brasilien gelangt sein mögen, so sind die dort bevorzugten Tänze aus portugiesischer Besiedlung kaum bezeugt; auch der von Lissabon kommende Lundu ist erst seit dem (späteren) 18. Jahrhundert dokumentierbar. Vergleicht man Brasilien mit Süd- oder Mitteleuropa, so hielten sich im 17. Jahrhundert etablierte Stile hartnäckiger. Neben Neugründungen von Theatern und Opernhäusern etwa in Buenos Aires 1778, Salvador da Bahia und Rio de Janeiro erhielt auch São Paulo sein großes, ebenso für Musikdramen bestimmtes Schauspielhaus.

Zahlreich sind die erhaltenen Barockkirchen in der Mega-City São Paulo, in denen im 17. und frühen 18. Jahrhundert vor allem Werke portugiesischer Meister erklangen (Igreja matriz de Araçariguama, 23.4.2005, User: OS2War, Br. p.d.).

Von dem aus dem 18. Jahrhundert bezeugten portugiesischen Komponisten José Alves wird lediglich vermutet, dass er sich (später) dem Musikleben São Paulos widmete, mit Sicherheit aber wirkten dort Angelo de Siqueira, dessen Geburtsdatum um 1707 angenommen wird, sowie Faustino do Prado Xavier, dessen Lebensspanne mit Sicherheit auf 1708 bis 1800 datiert werden kann. Letzterer wirkte nach seiner Berufung durch den Bischof von Rio de Janeiro schon als junger Mann im Amt eines Kapellmeisters in São Paulo; von seinen musikalischen Werken ist jedoch wenig bekundet.

 

Literatur u.a.
Marcos Holler: Die Jesuiten und ihr Einfluss auf die Musik im kolonialen Brasilien. In: Barbara Alge (Hg.): Kunstmusik – Kolonialismus – Lateinamerika. Essen 2017. S. 31 – 48.

 


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