In letzter Zeit erlebte der musikalische Labskaus oder auch: die Flickoper eine deutliche Wiederbelebung, nicht nur dank des 1986 uraufgeführten Musicals Phantom der Oper, sondern auch, mit Rücksicht auf die barocke Entstehungszeit des fragwürdigen Genres, mit der New Yorker Met-Aufführung des Pasticcios The Enchanted Island am 31. Dezember 2011: Die Mixtur der verarbeiteten Arien und Instrumentalpartien beinhaltete nämlich Musik von Rameau, Vivaldi und Händel, die allesamt selbst gerne Versatzstücke aus vorgefundenen „Rezepten“ in ihren Opernkreationen vermengten und neu aufkochten …

Ihren Ursprung hat die musikalische Pastete bereits um 1707, dem Jahr, in dem Johann Christoph Pepusch neue Rezitative zu vorhandenen Arien von Agostino Steffani, Giovanni Bononcini, Tomaso Albinoni, Francesco Gasparini und Alessandro Scarlatti verfasste und sie von Peter Motteux in dessen Libretto zu Händels Londoner Oper Thomyris, Queen of Sicilia einfügen ließ. Dies war nur möglich, weil für die Komponisten, derer sich Pepusch und Händel bedienten, kein Copyright existierte, wie wir es heute – wenn auch nicht weltweit und konsequent angewandt – kennen. Damit gingen Musikschaffende, sei es aus Zeitmangel (?) angesichts vieler Neuaufträge, Kaltschnäuzigkeit oder frühindustriellem Unternehmerbewusstsein, noch einen dreisten Schritt über die Selbstbedienung am eigenen Werk oder nonchalanten Entleihungen von Melodien, die schon lange im Schwange waren, hinaus – denn Albinoni und Steffani waren in Europa allseits bekannte Größen, die man nicht einfach verdeckt „bestehlen“ konnte.

Händel war es, da er sich innerhalb der europäischen Musikszenen ohnehin als Souverän fühlte, ziemlich egal, ob er sich selbst kopierte oder von anderen Schreibtischen bediente; letzteres dokumentiert sein Opern-Pasticcio Arbace von 1730, erstere Praxis mit einem gewissen Übergewicht die noch später „kompottierten“ Bühnenwerke Oreste, Alessandro Severo und Jupiter in Argos. Im Sinne heutiger Urheberschutzrechte fairer ging es da bei Kooperationsprojekten mehrerer Musikschaffender zu, etwa im Falle von Il Muzio Scevola, einer Händel-Oper aus dem Jahr 1721, zu der gleichgewichtig mit je einem Akt Filippo Amadei und Giovanni Bononcini beitrugen.

Aus verschiedenen Quellen zusammengesetzt sind aber seit dem frühen 18. Jahrhundert nicht nur Opern, sondern auch Instrumentalkompositionen, man denke nur an W.A. Mozarts Klavierkonzerte KV 37, 39, 40 und 41, deren Sätze Klaviersonaten anderer Komponisten „entliehen“ und vom Lieblingskind der Musen mit einem Orchestersatz versehen wurden.
Weiterführende Literatur u.a.
Richard G. King: John Christopher Smith’s pasticcio oratorios. In: Music and Letters. Vol. 79/2. 1998. S. 190 – 218.