Von göttlicher Herkunft soll Aktaion nach Diodor gewesen sein. Den Sohn der Autonoë und des Aristaios, letzterer Spross aus der Verbindung Apollons mit der Nymphe Kyrene, bildet der Kentaur Chiron, ein Wesen halb Stier, halb Mensch (und daher zu einem Leben in der Wildnis verbannt) zum geschickten Jäger aus. Artemis, die für seinen Berufszweig zuständige Göttin, verwandelt ihn einer Beleidigung wegen, die sie sich sehr zu Herzen zog, in einen Hirsch, den die eigenen Hunde töteten. Wie im Falle etlicher mythischer Frevel wurde unangemessene Überheblichkeit als Ursache für die unfreiwillige Metamorphose und das durch sie herbeigeführte Ende Aktaions vermutet: Dieser prahlte vielleicht zu sehr damit, ein besserer Jäger als Artemis selbst zu sein.

Bemerkenswert ist wohl, dass es zu diesem Mythos eine akkadische und ugaritische Quelle im Gilgamesch-Epos gibt. Uns soll hier kurz die Verwendung des Stoffs in der Musik beschäftigen, denn keinen Geringeren als den Hofkomponist Marc-Antoine Charpentier interessierte der Heros samt seines Mythos, unter anderem wohl, weil sich das zentrale Motiv der Jagd und des Jägers, präsent in den Chasse-Tanzformen der Zeit, sowohl für das Ballett als auch für die Musiktheaterbühne eignete. Zunächst wurde vermutet, dass Charpentier das Werk für seine Gönnerin Marie de Lorraine, die Herzogin von Guise zur Aufführung im Hôtel de Guise, wo sie residierte und es ein Ensemble gab, verfasst haben könnte, doch scheitert diese Annahme an den eklatanten Unterschieden zwischen den Möglichkeiten der Kapelle und den Stimmvorgaben der Partitur.

Zu den Unsicherheiten der mit ziemlicher Sicherheit auf 1684 datierbaren Oper gehört außerdem der Umstand, dass der Librettist der französischen Vorlage bislang nicht zu ermitteln war. Hier wird nicht etwa Diodors Überlieferung, sondern die entsprechende Geschichte aus Ovids Metamorphosen zugrundegelegt, nach der Aktaion Artemis beim Bad gesehen haben soll und sie ihn deshalb in ein selbst jagdbares Tier verwandelte.

Mit dem großen zeitlichem Abstand von nicht ganz 300 Jahren machte die Oper, die sechs Solisten vorsieht, doch noch eine gewissen Karriere, nicht zuletzt dank des Engagements einzelner Dirigenten und Formationen infolge der historischen Aufführungspraxis Alter Musik: William Christie nahm sie 1982 mit Les Arts Florissants auf, 2015 brachte das Opernhaus von Ayrshire eine durch David Douglas verantwortete schottische Fassung auf die Bühne, Paul O’Dette und Stephen Stubbs legten 2009 anlässlich des Boston Early Music Festivals eine neue Einspielung vor.