Stimmakrobatik am Eismeer

Wie die populare Musik anderer früher Kulturen, die sich nicht mehr bis zu einem bestimmten Ursprung zurückverfolgen lassen, beruht auch die der kanadischen Inuit, zu denen diejenige der Eskimos zählt, auf Trommelinstrumenten, die dem Tanz dienten. Das eigentliche Alleinstellungsmerkmal ist jedoch der spezifische kehlige Gesangsstil der Frauen, bekannt als katajjaq. Als eine der wenigen (frühen) Musikkulturen, man denke auch an die Ureinwohner von Papua-Neuguinea oder der Mongolei, kennt die der Inuit den so zustandekommenden Obertongesang, der Mehrstimmigkeit suggeriert.

Agiarut oder Tautirut: Eine für Inuit-Streicher typische Fidel mit nur einer Saite (McManus-Sammlung, Geschenk von 1874, Simonchadwick1023, 24.4.2010, GNU Free Doc. Lic.)
Agiarut oder Tautirut: Eine für Inuit-Streicher typische Fidel mit nur einer Saite (McManus-Sammlung, Geschenk von 1874, Simonchadwick1023, 24.4.2010, GNU Free Doc. Lic.)

In der katajjaq-Praxis stehen sich traditionell zwei miteinander wetteifernde Sängerinnen Aug in Aug gegenüber. Nach einer relativ komplexen Aufeinanderfolge der Stimmlinien treffen sie sich unisono auf einem einzigen Ton. Kurze stakkatierte Motive, Klängen der Natur wie dem Geschnatter der Gänse abgehört,  kennzeichnen den Gesang, der so lange durchgehalten wird, bis eine der Rivalinnen den Atem verliert, sich verhaspelt oder zu lachen anfängt. Damit ist die Gesangsrunde beendet, Gewinnerin und Verliererin stehen fest.

Katajaqq-Sängerinnen aus dem Kreis der Inuit (Ansgar Walk, 7.4.1999, CC-Liz.)
Katajaqq-Sängerinnen aus dem Kreis der Inuit (Ansgar Walk, 7.4.1999, CC-Liz.)

Hier handelt es sich jedoch nur um eines der Vokalspiele, die Inuit-Frauen pflegen. Das reichhaltige Repertoire sieht auch Varianten vor, bei denen bedeutungslose „Wörter“ in kanonischer Abfolge hervorgebracht werden, die sowohl stimmlos als auch „stimmhaft“ erzeugt werden – und zwar sowohl mit der Brust als auch mit der Kehle und mit der Nase. Die Atmung selbst wird zwischenzeitlich dynamisch beschleunigt oder verstärkt, was zum Höreindruck einer dramat(urg)ischen Steigerung führt.

In den Instrumentalensembles der Eskimos und der Inuit im weiteren Sinn tauchen auch Spielarten von einsaitiger Fidel und Zither auf. Bekannter sind allerdings über die Grenzen Nordostkanadas und Alaskas hinaus größere Perkussionsformationen, deren Hauptinstrument das qilaut darstellt, dessen Name aus religiös-spirituellen Zusammenhängen stammt, denn mit seiner Hilfe konnten die „Geister angerufen“ werden. Auch die später eingeführte Maultrommel sowie kleinere Rasselidiophone und andere Schlaginstrumente ergänzen das Spektrum der Ensembles.


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