Hier kommt jeder Dirigent, Regisseur oder Arrangeur in Verlegenheit: Wie soll man Opernpartituren aus der Zeit zwischen Jacopo Peri und Alessandro Scarlatti (letzteren ausgenommen) so einrichten, dass ein vielstimmiges Orchester barocken Ausmaßes ihn vollklingend spielen kann?

Vor dieser Aufgabe stand am Theater Erfurt Samuel Bächli, als er – wie schon vor beinahe fünf Jahren mit Monteverdis L’Incoronazione di Poppea – daran ging, die in Venedig anno 1651 mit – wie heute unschwer zu erkennen ist – nachhaltigem Erfolg uraufgeführte Oper La Calisto von Monteverdis Schüler Francesco Cavalli (1602 – 1676) zu instrumentieren und mit den passenden Vokalparts zu besetzen, da doch kaum mehr als eine Singstimme mit basso continuo vorgegeben ist.

Samuel Bächlis historisch und aufführungstechnisch wohl durchdachte Lösung für das Problem, die im übrigen die thematischen Parallelen zu Jacques Offenbachs Pariser Leben reflektiert, sieht vor, dass angesichts der seit jeher engen Verzahnung zwischen der visuellen Inszenierung des Librettos und der musikalischen Dramaturgie im Orchestergraben zwangsläufig der Klang auch die Handlung abbilden muss. Da ähnlich wie in den Schauspielen etwa Lope de Vegas aus dem gleichen Zeitalter in La Calisto das Theater die imaginierte und reale Welt imitiert, kommt bei der Vielzahl höchst individueller Akteure ein buntes Spektakel auf den Zuschauer zu, das nach entsprechendem Klangvolumen verlangt.

Somit bleibt es nicht beim überlieferten Instrumentarium der Epoche, zu dem selbstverständlich Viola da Gamba, Laute, Harfe und Cembalo (gespielt von Ralph Neubert) zählen, es kommen spezifisch geeignete moderne Stimmen hinzu, gestern Abend zur Premiere repräsentiert durch Bassklarinette, Vibraphon und Celesta, dazu Bläserklangfarben aus klassisch-romantischen Kontexten wie etwa das Englischhorn. Ungewöhnlich auch im Vergleich zu sonstigen Rekonstruktionsversuchen der früh- und mittelbarocken Oper ist die Verwendung des im 18. Jahrhundert aus dem Orchester schon verschwundenen Zink, dessen Toncharakter bei den Oboen anzusiedeln ist. Für das Auftreten des Zinkenisten konnte mit Arno Paduch einer der weltweit ganz wenigen, musikwissenschaftlich informierten Spezialisten dafür aus Leipzig gewonnen werden, der unter anderem als Dirigent des Johann Rosenmüller Ensembles hervorgetreten ist.

Reizvoll am Libretto ist die im Mythos vorgegebene schonungslose Offenlegung der „Weltlichkeit“ des Götterhimmels, der das Treiben auf Erden aufs Beste kopiert: Die Leidenschaften Liebe, Neid, Begehren und Eifersucht sind beinahe untrennbar ineinander verstrickt. Jupiters neue Liebe, die Nymphe Calisto, durch Daniela Gerstenmeyer stimmlich und schauspielerisch wieder überzeugend repräsentiert, ist eigentlich in Diana, die Göttin der Jagd, verliebt, weshalb im übrigen die Handlung dem Interessensschwerpunkt des italienischen Singspiels im 17. Jahrhundert gemäß in pastoraler Idylle mit wilder Landschaft verortet ist – und nur sekundär im Götterhimmel, den eine Tür am Ende der Treppe von der Welt trennt.

Diana ihrerseits, stimmlich voluminös dargestellt durch die norwegische Sängerin Margrethe Fredheim, wird von zwei Männern umgarnt, dem Schäfer Endymion und dem rohen Waldmenschen Pan, genial und mit bedrohlich geschwungener Keule verkörpert durch Gregor Loebel. Katja Bildt singt die Rolle eines Ziegenmenschen in Pans Territorium, des männlich-burschikosen Satirino, was stimmlich gesehen für die Barockoper nichts Ungewöhnliches ist. Sie stellt ähnlich der Dienerin in der Commedia dell’Arte so etwas wie den Katalysator der dramatischen Entwicklung dar und vermittelt zwischen rein göttlicher und halbgöttlicher Sphäre. Die dramatische Handlung erreicht ihren Höhepunkt und bricht ab, als Jupiter, von seiner Frau Juno aufs Neue des (versuchten) Ehebruchs wegen kompromittiert, die Nymphe Calisto als Stern ins Firmament verbannt.

Abgesehen von der einfühlsamen und bedachten Ensembleleitung durch den südkoreanischen Multiinstrumentalisten und Komponisten Chanmin Chung, der nun mit 27 Jahren zweiter Kapellmeister am Theater ist, kann zumal die sängerische Leistung von Jörg Rathmann hervorgehoben werden, der mit Geschick dem Genre der komischen Oper vollkommen entsprechend den Part der Jägerin Linfea spielt; Julia Stein setzt ihre Stimme in der Rolle der erzürnten und triumphierenden Juno ebenso überragend ein.

Das Bühnenbild transportiert mit seinen Requisiten, etwa der „schiefrunden Perle“ (Schnecke) als getreuer bildlicher Übersetzung des Wortes „barocco“, die ebenso auf eine imaginierte helixförmige Treppe zwischen Erde und Himmel abzielen könnte oder des halbrunden Mondes als Sit- und Liegefläche, vielschichtigen Sinn – ebenso wie sich in der Agogik der Orchesterstimmen und der schauspielerischen Gestik besondere Merkmale der Barockoper entfalten.
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