Moment, war das Rossini oder Beethoven? In Joana Mallwitz‘ Interpretation der rhythmisch hochdifferenzierten 7. Symphonie in A-Dur des letzteren pflanzte sich an diesem Donnerstagabend im Falle der Ecksätze der Eindruck des weit gespannten Stufencrescendo in die Gehörgänge ein – und das war bekanntlich eines der Markenzeichen des Opernmeisters aus Pesaro. Eigentlich ganz unklassisch … Sollte sich Beethoven hier ganz als Proteus der Romantik zu erkennen geben?

Doch die italienisch anmutenden sforzandi und der Einsatz der Orchestertutti neben den längeren lyrischen Phrasen (namentlich des Allegretto) könnten sich auch daraus erklären, dass neben der ohnehin vorhandenen Akzentuierung des Rhythmus die in Jubel ausbrechende Emphase im ersten, dritten und vierten Satz hervorgehoben werden sollte. Die „deplatzierten“ Tonarten, hier F-Dur und C-Dur, tun hier ihr Übriges und das Publikum verblüffen zum wiederholten Male die vielfachen Charakterwechsel innerhalb der symphonischen Faktur, die mit Joana Mallwitz am Dirigentenpult überdeutlich herausgearbeitet wurden, ohne dass darunter der motivisch-thematische Zusammenhang jemals gelitten hätte. Wunderbaren Lyrismus bot dabei die ebenso lebhaft wie aufeinander abgestimmt agierende Holzbläsergruppe des Philharmonischen Orchesters.

Vielfaches Interesse hatte das Theater Erfurt gerade an diesem Abend ebenso von außerhalb gefunden – dank der solistischen Trompete, ein Part, den der junge Simon Höfele von seinem Lehrer Reinhold Friedrich, Professor an der Musikhochschule Karlsruhe, infolge von dessen kurzfristiger Erkrankung gestern übernommen hatte. Zu hören war anlässlich des 100. Geburtstags des 1970 verstorbenen Komponisten Bernd Alois Zimmermanns Konzert für Trompete in C und Orchester nach dem Gospelsong Nobody knows de trouble I see, das 1954/55 von den rassistischen Ausschreitungen in den USA geleitet war. Die Melodielinie des pentatonisch gebauten Spirituals ist in den cantus firmus verbannt und daher zunächst einmal „unterschwellig“ hörbar.

Entsprechend der Verortung in „schwarzer Musik“ spielen Jazz-Partien bis hin zu einer „echten“ Swing-Passage hier eine eminente Rolle. Klingt die zu Grunde liegende Melodie des Refrains vorerst nur immer wieder an, wird dieser erst an einem späteren Punkt des Konzerts von der Trompete in seiner vollen Länge abgebildet, womit diese den Ausbruch des im Songtest enthaltenen Schmerzes exponiert. Für jeden Solisten ist der mit gestopfter Trompete zu spielende Part eine große Herausforderung, die von dem 1994 geborenen Musiker bravourös und mit Sinn für das Melos der Partitur umgesetzt wurde; anhaltender Applaus war ihm zu Recht sicher. Vortrefflich korrespondierte mit ihm das Trompetentrio im Orchester, dessen Stimmen sich in expressiver Jazzmanier dynamisch en passant über die Solostimme schieben. Durch die räumliche Distanz zum „Ensemble“ ergibt sich darüber hinaus ein berückender tiefenräumlicher Höreindruck.
Zum Auftakt des Konzertabends war eines der her wenigen symphonischen Werke des Sutermeister-Schülers Anton Plate, Jahrgang 1950, zu hören, das in seiner modernistischen Singularität eine Außenseiterposition einnahm. Für Überraschung sorgte in At the river aus dem Jahr 2003 kurioserweise gerade der offene Schluss, der vielleicht nur durch das Abtreten der Dirigentin als solches gleich wahrgenommen wurde – sonst hätte man wohl einer „Generalpause“ oder einen Satzwechsel vermutet. Er wird verständlich, da der Subtext Shall we gather at the river? eine eben offene Frage darstellt.

Das vergleichsweise knappe, aber in seiner Metrik und Harmonik schwierige Werk greift Charles Ives gleichnamiges Lied von 1922 auf, das einer biblisch inspirierten Gospelhymne entliehen ist und jedenfalls nichts mit dem ebenfalls gleichlautenden britischen Naturidyll-Popsong, bekannt geworden durch Petti Page, gemeinsam hat. Denn Plates Stück basiert auf der sich aus B-A-C-H in Fortführung ergebenden Zwölftonreihe, der hier ein nicht logisch-abstraktes, sondern „musikalisches Gesicht“ gegeben wird. An zweiter Stelle des Abends stand Beethovens Leonoren-Ouvertüre Nr. 3 C-Dur, ein wie die 7. Symphonie äußerst ideenreiches und keinesfalls rein klassisches Werk, in dem das Philharmonische Orchester Erfurt seine gesamte Klangfarbenpalette unter Beweis stellte.
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