Der Maler Heinrich Eduard von Wintter ergriff 1720, bevor Alessandro Scarlatti daran ging, seine letzte opera seria Griselda, uraufgeführt schließlich in Roms Teatro Capranica im Januar 1721, in Reinschrift abzufassen, die Gelegenheit, von diesem für eine Gravur sein Porträt zu konterfeien. Die Darstellung bekam dem 1660 in Palermo geborenen Komponisten sehr gut: Die Jahre sieht man ihm nicht an, vielmehr wirkt er auch mit sechzig Jahren wie jugendlich und seiner Bedeutung für das römische Musikleben gemäß selbstsicher. Dass das in musikstilistischen Fragen maßgebliche(re) Neapel ihm von Herzen näher lag, bezeugt sein nochmaliger Umzug dorthin drei Jahre später.

Der Plot des Dramma per musica Griselda war nach Scarlattis eigenen Angaben bereits seine 114. (!) Oper, was bedeuten würde, dass beinahe die Hälfte seiner Bühnenwerke heute verschollen wäre. Zu einer Zeit, als die Sujetwahl, die Form der Libretti und die musikalische Dramatisierung des Sizilianers nach der Wende zum 18. Jahrhundert bereits als antiquiert-gelehrt galt, nahm er sich in Verbindung mit dem Autor Apostolo Zeno eines Stoffs an, der (nicht nur) von Ferne an Aschenputtel erinnert, ein Märchen, das etwa zur gleichen Zeit Charles Perrault erstmals unter dem Titel Cendrillon veröffentlichte: Wie dort ist der Stein des Anstoßes für die Erzählung als Ganzes, die auf Boccaccios Decamerone zurückgeht, eine Mésalliance, denn der sizilianische König Gualtiero heiratet die Schäferin Griselda, versucht aber den Umstand zu verbergen, dass ihm aus dieser Ehe eine Tochter, Costanza, geboren wurde.

Verschleiernd lässt er andeuten, das Kind getötet und seine Frau Griselda verstoßen zu haben. Ohne es zu wissen, führt er einige Zeit später mit der eigenen Tochter seine zweite Braut nach Hause. Mutter und Tochter begegnen sich und fühlen eine tiefe Verbindung zueinander. Schon vor der Ankunft am Hof hat sich Costanza in Roberto, den Bruder von Gualtieros Freund Corrado verliebt. Beide gelangen erst am Ende zueinander, als das Geheimnis um Costanzas Herkunft gelüftet ist.

Die ernste Färbung der dreiaktigen Oper kommt dem proto-novellistischen und hochliterarischen Renaissancestoff mit seiner „unerhörten Begebenheit“ sehr entgegen; dem allgemeinen Urteil der zum empfindsam-galanten Stil neigenden Epoche entgegen steht ihr das „verspätet“ barocke Klanggewand unter Verwendung der neueren Da-capo-Arie im Kontrast zur älteren Basso-continuo-Variante ebenso gut wie die vom Komponisten seit 1707 angewandte Dreiteilung der einleitenden Sinfonia; letztere ermöglicht erst eine dramaturgische Differenzierung der ihrem Ausdruckscharakter nach so unterschiedlichen Akte.
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