Epochenübergreifende Mandolinkünste

Bachs für Mandoline arrangiertes Violinkonzert a-Moll stellte wohl nicht gerade eine technische Herausforderung an den Solisten dieses Donnerstagabends dar, wenn man einmal von der Schwierigkeit absieht, dem schnell verklingenden Ton des Zupfinstruments Dauer zu verleihen oder durch ornamentale Auflösung ein der Geige, Oboe oder Flöte gleichwertiges Melos zu erzeugen. Avi Avital, unumstrittener internationaler „Superstar“ der Mandoline aus dem südisraelischen Be’er Sheva, gelang dies spielend. Er musste auch nicht die Saiten dröhnen lassen, stellte sich vielmehr als gleichberechtigten Spieler neben das Kammerorchester, das durch eine im Continuo-Part vom Cembalo aus souverän und einfühlsam agierende Joana Mallwitz geleitet wurde.

Künstlerische Vision vom Anhören des 3. Satzes 'Elegia' (Takt 128) aus Bartóks 'Konzert für Orchester', das Stefan Anton Reck inspirierte (7.10.2014, p.d.).
Künstlerische Vision vom Anhören des 3. Satzes ‚Elegia‘ (Takt 128) aus Bartóks ‚Konzert für Orchester‘, das Stefan Anton Reck inspirierte (7.10.2014, p.d.).

Im Bach-Konzert überzeugte besonders der elegisch „seufzende“ Andante-Satz, während im dritten dank des zum Abschluss bei Bach üblichen tänzerisch-schwungvollen Duktus ausgelassene Spielfreude vorherrschte, der – was den Mandolinpart angeht – von voluminöseren Akkordschlägen und häufigeren Auszierungen bestimmt war. Avitals Performance in den entsprechenden Passagen, nämlich bei der den Rhythmus konstituierenden Akkordrepetition, knüpfte deutlich hörbar an die Solokonzerte Antonio Vivaldis an, der bekanntlich für Bach ein unschätzbar wichtiges Vorbild darstellte. Der geradezu venezianische Klangcharakter bei der gestrigen Aufführung resultiert sicher nicht zuletzt aus italienischen Studienjahren: Der Künstler selbst war bei Ugo Orlandi in Padua im Repertoire für das Instrument unterwiesen worden. Ein Vivaldi-Album des Künstlers folgte. An dieser Stelle machen wir auch auf eine der wichtigsten Klassikaufnahmen des Sommers 2017 mit eigenen Kompositionen des israelischen Virtuosen unter dem Titel Avital meets Avital aufmerksam.

Porträt des Mandolinvirtuosen Avi Avital von Jean Baptiste Millot (Theater Erfurt)
Porträt des Mandolinvirtuosen Avi Avital von Jean Baptiste Millot (Theater Erfurt)

Trotz der Entfernung Béla Bartóks zur Bachzeit schlossen dessen Rumänische Volkstänze beinahe nahtlos (und ohne die Notwendigkeit einer Behelfsbrücke) an das konzertante Allegro assai an. Die Streichorchesterfassung von Arthur Willner hatte Avi Avital nochmals für Mandoline und Streicher adaptiert.

Avi Avital bei einem Konzert an Bruckners Wirkungsstätte St. Florian bei Linz (Elph, 15.7.2016, p.d.)
Avi Avital bei einem Konzert an Bruckners Wirkungsstätte St. Florian bei Linz (Elph, 15.7.2016, p.d.)

 

Wegen des in nahezu ganz Europa irgendwann eingeführten und erweiterten Gebrauchs der Mandoline auf dem Feld des ländlichen (nicht im strengen Sinn klassischen) Tanzes wirkte das Instrument hier nirgendwo aufgesetzt, sondern komplimentierte und augmentierte die Klangbilder der höchst unterschiedlichen Sätze, die vom Brâul, einem rustikalen „Stampfer“, bis zum temperamentvollen und mitreißenden Maruntel reichen, in berückender Weise. Da die Mandoline selbst im 19. Jahrhundert europaübergreifend ein weithin beliebtes Folkloreinstrument war, passt es vollkommen zu den von Bartók selbst ethnographisch erforschten einheimischen Musikszenen.

Béla Bartók mit Zóltan Kodály beim Partiturstudium (Aladár Székely, US p.d.)
Béla Bartók mit Zóltan Kodály beim Partiturstudium (Aladár Székely, US p.d.)

Der zweite Teil des Konzertabends mit einem weiteren Werk des Ungars Béla Bartók stand dem ersten kaum nach, auch wenn Avitals Auftritt dank etwa seiner Zugabe eines bulgarischen Volkstanzes mit aberwitzig schnellen chromatischen Akkordläufen und rasgueado-ähnlichem Anschlag kaum zu überbieten war. Insbesondere der zweite Satz Giuoco delle coppie, ein Allegretto scherzando des 1943 in den USA komponierten Konzerts für Orchester verlangt letzterem, einem erweiterten Symphonieorchester, einiges ab. Doch die Duettgruppen, Klarinetten, Oboen, Flöten und gedämpfte Trompeten, zeigten sich dabei ganz in ihrem Element. An anderer Stelle quakten und klagten die Oboen mit den Fagotten um die Wette, dass es ein Vergnügen war. Effektvoll gelang ebenso die Unterbrechung der leitenden Melodie durch „brutale Kapell-Musik“ (so das Programmheft), die das Orchester mit Ironie und Humor nahm und die Steigerung zum furiosen Finale.

Zurück zum Anfang des Konzertabends: Welch ganz andere Natur hat doch (bei oberflächlicher Betrachtung) die Simple Symphony Benjamins Brittens, in deren Satzstrukturen Allusionen auf Respighis Deutung der Musik des frühen 18. Jahrhunderts ebenso greifbar werden wie die den Solisten vorausahnenden Mandolineneffekte der Streicher, die konsequent den gesamten zweiten Satz Playfull Pizzicato, durch das Philharmonische Orchester unter Joana Mallwitz übrigens perfekt eingelöst, bestimmen. Der Hörer erlebt des weiteren ein Wechselbad der Gefühle, von der sentimentalen Sarabande zum überschäumend fröhlichen, dem Moll entkommenen Finale.

 


Beitrag veröffentlicht

in

,

von

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert