Schnapszahl für eine von Satire, lyrischen Stimmungen und Ballett getragenen Musikkomödie: Mit hoher Wahrscheinlichkeit war es kein Zufall, dass 2017 die neue Inszenierung der Lustigen Witwe am Theater Erfurt (fast exakt) 111 Jahre nach ihrer Premiere in der Stadt 1906 und damit ein Jahr nach der Wiener Uraufführung wiederum hier platziert wurde. Und zwar als großer Wurf: Nicht nur, weil am Samstagabend Dirigentin Joana Mallwitz mit dem Philharmonischen Orchester und seinen Solisten zur Höchstform auflief und für nachhaltigsten Applaus sorgte.

Die opulente und gleichzeitig prägnante Inszenesetzung durch den ehemaligen Countertenor und späteren Regisseur Axel Köhler mit den Bühnenarrangements durch den Met-erfahrenen Gestalter Frank Philipp Schlößmann ergab zudem eine ideale Fusion für eine der beliebtesten und – ähnlich wie im Falle Land des Lächelns – der „regulären“ komischen Oper in großen Teilen nahen Operette.
Zum magisch-zauberhaften Event wurde der Abend des 16. Dezember für das Publikum nicht zuletzt dank der technischen Direktion durch Christian Stark und der Lichtregie von Stefan Winkler, der auch mal auf den in den Zuschauerraum ausgedehnten Lichtorgeleffekt setzte. In besonderem Maß gelungen waren auch die voluminösen (heiteren) Chorpartien, etwa zum Beginn des zweiten Akts anlässlich von Hanna Glawaris alias Stephanie Müthers wunderbar intonierter Waldweiblein-Arie dank Andreas Ketelhuts Einstudierung und Arne Langers detailfreudiger Gesamtdramaturgie.

Schweres Goldbrokat und ein überspitzt romantisch präsentiertes Theater kennzeichnet die Verschwendungssucht im fiktionalen Balkanstaat Pontevedro, der klanglich deutlich auf Montenegro und die politischen Ränke der Donaumonarchie nach infolge der Inthronisierung des montenegrinischen Kronprinzen Danilo, geboren 1871, anspielt.
Als leibhafte Figur tritt dieser dem Zuschauer in Gestalt des Grafen Danilo Danilowitsch, verkörpert durch den auch schauspielerisch hochversierten Kammersänger Máté Sólyom-Nagy, in Victor Léons und Leo Steins Libretto entgegen. In Franz Lehárs erster eigentlichen Tanzoperette der Musikgeschichte geht es wie kaum anders zu erwarten um Macht und Geld, die Liebesverwicklungen ergeben sich im Hintergrund (scheinbar) mehr als Vorwand, doch scheint die interessenlose Liebe des Grafen zu Hanna am Schluss zu dominieren — umso besser, dass die Witwe ihn tatsächlich reich macht, da nach Verfügung des Erblassers das „billionenschwere“ Vermögen an ihren neuen Gatten überzugehen hat.

Über Zweckheirat und Ehebruchsversuche vermögen schwungvolle Wiener Walzer und gefühlsinnige Liebessduette unter Einsatz der schmachtenden Solo-Violine kaum hinwegzutäuschen, Valencienne, die Gattin des Präsidenten, bravourös gesungen von Daniela Gerstenmeyer, bleibt dem Reichtum, über den sie dank ihres Präsidentengatten mitverfügt, auch gegenüber ihrem geliebten Camille du Rosillon verpflichtet, denn sie ist, wie ihr Fächer verrät, „eine anständige Frau“.
Mit Camille du Rosillon, stimmstark und in agogischer Hinsicht perfekt vertreten vom jungen Tenor Julian Freibott, kommt gleich zu Beginn des ersten Akts Valenciennes Liebhaber, ein etwas verunsicherter Nachwuchsadliger ins Spiel; diesen Charakterzug konnte man bereits anlässlich von Freibotts ebenso überzeugender schauspielerischer Wandlung am „vorgesehenen“ Bräutigam von Smetanas Verkaufter Braut studieren.

Zu den Figuren des Librettos, die weniger gesanglich, als vielmehr durch Sprechrollen hervortretenden Akteure gehört außer dem am Samstagabend hochpräsenten Juri Batukov als Staatspräsident Pontevedros Thomas Förster als Njegus, der bei Hofe eine besondere Stellung einnimmt. Förster, der lange als Schauspieler an der Freien Volksbühne Berlin wirkte, in Dresden einen eigenen Theaterabend begründete und in den letzten Jahren häufig im Fernsehen zu erleben war, zeichnete sich durch die beste und markanteste deklamatorische Partie aus – ein ebenso vollkommener wie in den feinen ironischen Nuancen bewanderter Sprecher.

Dem Symbol des Fächers eignet im gesamten Drama von Anfang bis Ende eine besondere Bedeutung: Er repräsentiert nicht nur die Eleganz der höfischen Gesellschaftsdame, sondern verschlüsselt (Liebes-)Nachrichten und gibt durch seine Bewegung geheime Winke, die zu interpretieren sind. Der Moment, in dem Valenciennes Fächer entdeckt wird, symbolisiert nicht nur die katastrophé der Handlung, da nunmehr alle verborgenen Hintergrundhandlungen vor den Augen des höchsten Staatsvertreters transparent werden, sondern leitet gleichzeitig die Peripetie ein, denn die Karten liegen damit auf dem Tisch: Hanna Glawari kann nunmehr den Grafen Danilo Danilowitsch zum Bekenntnis seiner Liebe rühren, Valencienne unterwirft sich ihrem Gatten als letztlich „anständige Frau“.

Neben der schattierungsreichen Kostümierung der Rollen einschließlich der skurril in Erscheinung tretenden Grisetten aus dem Pariser Show-Milieu durch Judith Adam und Mirko Mahrs differenzierter Choreographie ist wiederum die Leistung des Philharmonischen Orchesters Erfurt hervorzuheben, denn die ausgefeilten, leidenschaftlich aufblitzenden und sanft verklingenden Solo-Partien von Violine und Klarinette berückten die Zuhörerschaft ebenso wie der samtig-seidene, noble Gesamtklang, der in perfekter Kongruenz zur Gestalt- und Farbgebung der Bühnenräume stand.
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