Es kann ein gutes Zeichen sein, wenn der Rezensent im Konzert für Bruchteile von Minuten einnickt. Es bedeutet, dass die Musik das kritische Ohr überwältigt und den Hörer in das Reich der musikalischen Träume entführt hat. So geschehen am Freitag, den 24. November, dem zweiten Abend des 4. Erfurter Sinfoniekonzerts in der Saison 2017/18 mit Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 c-Moll: Am Flügel saß nämlich der wegen seiner „geschmeidige Virtuosität“ gefragte Pianist Ralph Neubert, der seit nunmehr acht Jahren am Theater Erfurt als Spielleiter fungiert, da er zusätzlich an der Münchner Musikhochschule ein Gesangsstudium absolviert hatte, das ihn für das Musiktheater (nicht nur) als „vocal coach“ prädestinierte.

Gesanglichkeit im Ausdruck des Instrumentalspiels überhaupt fordert insbesondere der Largo-Satz des Konzerts, denn hier setzen sich, nach dem überraschenden Wechsel vom c-Moll-Rahmen nach E-Dur, einzelne Stimmen wie die Fagotte und die Flöten, mit ausgedehnten Melodien durch, während der Pianist im Wechselspiel mit dem perfekt eingestimmten Orchester außergewöhnliche Variationen erprobt. Jenseits von den Ambitionen zur Oper lässt sich feststellen, dass Ralph Neubert bei aller Genauigkeit und Expressivität in der dynamischen Ausführung nicht zur Übertreibung neigt und dennoch das Melos der jeweiligen Einsatzpartien einfühlsam und in der kompositorisch intendierten Breite ausspielt.

Ein Stück wie Karl Amadeus Hartmanns Adagio für Orchester aus seiner Sinfonie Nr. 2 hat seine Tücken, weshalb es von Dirigent Samuel Bächli an den Anfang des Abends gestellt wurde. Im Grunde ist es ein Paradebeispiel für musikalischen Expressionismus, wenn man von einem solchen sprechen kann, entstanden gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Anders als angesichts dieser Entstehungszeit zu vermuten wäre, versinkt es aber nicht in düsteren Farben, sondern experimentiert mit neuen Strukturen, sowohl hinsichtlich der polyphonen Satzanlage als auch in der Verteilung der Stimmen.

Eine besondere Rolle kommt hier dem Schlagwerk zu, schwerpunktmäßig Glockenspiel, Xylophon und Vibraphon: Ersteres und letzteres nehmen Elemente des Hauptthemas vorweg, das Xylophon greift einem später exponierten jüdischen Thema vor. Für den Hörer, der Hartmanns Werk nicht genauer kennt, ist die Klammerstruktur der Komposition wegen der extrem diversifizierenden Stimmgruppenbildung und der schier unvorhersagbaren solistischen Partien kaum zu erkennen, das Adagio stellt sich vielmehr als extrem heterogenes Stück sowohl im Hinblick auf die Parameter Instrumentation und Abschnittsdauer als auch auf die Entwicklung von Motiven dar.
Indem Wolfgang Amadeus Mozart in seiner g-Moll-Symphonie (KV 550) aus dem Jahr 1788 die kleine Sekunde, eigentlich ein minimalistisches Seufzer-Motiv, als Ausgangspunkt für einen ausladend entwickelten ersten Satz Molto allegro verwendete, sprengte er die damals denkbaren sinfonischen Anfangsmöglichkeiten.

Der vorausdrängende Impetus der gesamten viersätzigen und in sich höchst unterschiedlichen Symphonie scheint auf kein Ziel hinzuführen, vielmehr, wie Peter Gülke meinte, einen Weg zu beschreiben, der die strahlende Erlösung in der chronologisch folgenden Jupiter-Sinfonie (KV 551) erfährt.

Trotz aller Komplexität der melodischen Einfälle ist alles wunderbar durchgeplant: Im Menuett als drittem Satz wird die anfängliche Idee in Sekund-Dissonanzen „radikalisiert“ und entsprechend tritt, wie Arnold-Werner Jensen betonte, ein chromatisch verlaufender Epilog hinzu, dem das „schräge“ Horn-Solo inklusive seiner später folgenden Ausfälle noch das i-Tüpfelchen hinzufügt. Dadurch, dass Samuel Bächli die gedankenvolle Symphonie insgesamt in einem maßvollen Duktus dirigierte, wurden markante Stellen wie diese „ohrenfällig“, ohne sich zu weit in den Vordergrund zu schieben.
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