Der Fall Casadesus

Wer glaubt, Musikinformationen im Netz seien, weil sie selten politische oder private Interessen inhaltlich direkt berührten, weitestgehend fälschungssicher, sollte darauf nicht immer vertrauen. Doch steckte im Fall der klassischen Kunstmusik hinter einem Plagiat öfter sogar eine gute Absicht, wie das Magazin Ceryx in seiner Juliausgabe 2005 berichtet: Haydn riet Beethoven, Kompositionen in seinem Namen zu edieren, um sich schneller ein ordentliches Ansehen zu verschaffen, was dieser aber – aus persönlichem Stolz wohl – nicht tat. Und Henri Casadesus (1879 – 1947) glaubte dem Genre des Bratschenkonzerts zu größerer Beachtung zu verhelfen, indem er ein eigenes als Komposition Händels ausgab (!)

Henri Casadesus war nicht nur ein Meister im Spiel der Viola d'amore, sondern schrieb auch täuschend echte Konzerte (früh)klassischer Manier für das Instrument (Frinck51, Viola d'amore, 1.1.2005, GNU Free Doc. Lic.).
Henri Casadesus war nicht nur ein Meister im Spiel der Viola d’amore, sondern schrieb auch täuschend echte Konzerte barocker und (früh)klassischer Manier für das Instrument (Frinck51, Viola d’amore von Joseph-Nicolas Leclerc ca. 1770, 1.1.2005, GNU Free Doc. Lic.).

Fraglich ist in einem Sonderfall wie letzterem, ob es nach der Aufdeckung des „Skandals“ rechtens gewesen wäre, den in sein Instrument Viola verliebten Komponisten, der schließlich mit seiner Tat aus idealistischen Gründen faktisch das schmale Solistenrepertoire bereicherte und fördern wollte,  zu einer höheren Strafe zu verurteilen. Generell scheint Henri Casadesus, was die Bearbeitung fremden Materials betrifft, sehr beweglich gewesen zu sein, denn mit seinen Brüdern Francis und Marius rekonstruierte und restaurierte er im Sinne der Anreicherung, Vollendung oder Verbesserung mit Vorliebe Musik des 17. und 18. Jahrhunderts. Dabei schuf er einen erheblichen Teil selbst, edierte die Werke aber unter den Namen der Klassiker J.C. Bach und W.A. Mozart – und eben des Barockmeisters G.F. Händel und brachte sie auch so zur Aufführung.

Die „Anfertigung“ eines Violakonzerts aus der Sphäre der Vorklassik gelang ihm so perfekt, dass man sie tatsächlich für eine bislang verschollene Komposition C.Ph.E. Bachs hielt. Eine gewisse Leichtfertigkeit und Schläue mag diesem Vorgehen zu Grunde liegen, es allerdings als kriminell zu bezeichnen, ginge denn doch zu weit.

Henri Casadesus mit Viola d'amore (um 1900, Bibl. nat. de Paris, US p.d.)
Henri Casadesus mit Viola d’amore (um 1900, Bibl. nat. de Paris, 1.12.2013, US p.d.)

Dazu war Henri Casadesus denn doch zu sehr Komponist mit Leib und Seele, brachte korrekt unter eigenem Namen etliche Operetten, etwa Le Rosier, Sans tambour und Cotillon III sowie zahlreiche Bühnen- und Filmmusiken heraus und brillierte virtuos im öffentlichen Spiel der Viola d’amore. Für diese verfasste er auch ein eigenes Methodik-Handbuch, schrieb 24 Etüden für die Bratsche und begründete eine Gesellschaft für Alte Instrumente.

Tückischer als Casadesus‘ Namensfälschungen bei eigenen Leistungen sind schon (wissentlich?) wiederverwendete Motive und Formeln, die den an Prozessen von Urheberrechtsverletzungen Beteiligten heute große Kopfschmerzen bereiten. Denn die Verwendung fremden Gedankenguts kann laut Riemann-Lexikon (Neuausgabe, Band 4, S. 171) auch auf „unbewusste Erinnerung“ zurückgehen, aber wie wäre dies von Seiten eines Angeklagten schlüssig beweisbar? Erkennbare (Teil-)Plagiate urheberrechtlich bereits freier Werke können übrigens anders, als manche(r) denken möchte, auch zu einer Anzeige wegen Betrugs führen …

 

 


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