Im Kielwasser von Isla Margarita, der größten Insel des kleinsten Staatsgebiets im Raum der kleinen Antillen „unter dem Winde“ liegen zwei weitere, nämlich Coche und Cubagua, von denen letztere nur sporadisch bewohnt wird und aus der Vogelperspektive einem nach Westen ausgerichteten Fisch mit Schwanzflosse nicht unähnlich sieht. Im Jahr 1909 verleibte sich Venezuela den nordöstlichen Vorposten ein und kodifizierte die drei Inseln als Nueva Esparta, also Neu-Sparta, um so an den heldenhaften Kampf der Einwohner in den Unabhängigkeitskriegen zu erinnern.

Coche gilt als paradiesischer Geheimtipp unter Kite-Surfern, demgegenüber spielt selbstgemachte Musik eine geringere Rolle. Ganz anders auf der Isla (de) Margarita: Als überwiegend sing- und tanzbares Repertoire sind der schnelle Polo, der gemächlichere Galerón und die perkussiv gut bestückte Parranda mit den Aguinaldos Margariteños im kulturellen Leben stets präsent, daneben existieren auch weniger muntere Gesangs- und Instrumentalformen wie die melancholische Jota, die häufig soziale Missstände thematisierende Gaita Margariteña und die aus dem spanischen Mutterland mitgebrachte und weitergepflegte Malagueña, die außer zu den Mai-Prozessionen häufig in der Passionszeit zu hören ist.

Von den ursprünglichen Liedtexten sind diejenigen des lebhaften Polo, dem das Metrum Allegro wohl am ehesten entsprechen würde, anekdotisch geprägt. In gewitzter Weise erzählen sie vom Leben der Fischer und Geschichten aus dem Leben in den Dörfern an den Küsten. Ihr bekanntester und leidenschaftlichster Repräsentant war der Sänger Francisco Chico Mata (1932 – 2011), der vom Norden der Insel stammte und als „Prophet im eigenen Lande“, dessen Stimme aber sehr wohl gehört wurde, zu einer lebenden Legende wurde.

La Jota weist eine gewisse Verwandtschaft mit dem portugiesischen Fado auf, da hier von den Bürden der armen Fischer und der Liebe im allgemeinen, aber auch von geschichtlichen Ereignissen gesungen wird. Auf dem wichtigsten kirchlichen Fest der Insel Margarita, La Virgen del Valle, darf La Malagueña niemals fehlen. Als Begleitinstrumente zu den in aller Regel elf- oder zwölfsilbigen Versen nutzen die Ausführenden in erster Linie Cuatro, Gitarre und Mandoline. Im Gegensatz zu der meist religiösen oder unmittelbar lebensweltlichen Sphäre von La Malagueña überrascht die für Sologesang mit Begleitung konzipierte Form La gaita Margariteña mit enormer thematischer Bandbreite, kennt verliebte ebenso wie politische, historische, sozialkritische und humoristische Verse. Die Melodien entfalten sich über einem wiederkehrenden harmonischen Grundgerüst.

Im Dezember und um Weihnachten herum dominieren auf den Inseln die Gesänge von La Parranda; allerdings treten hier gänzlich andere Instrumente in Erscheinung: die Schüttelgeräusche erzeugenden Maracas, der Brummtopf mit seinem Reibeklang, der Trommeltypus des Tambor und die raschelnde Charrasca, die gelegentlich von Gitarre und Mandoline unterstützt werden. Die Musiker gehen dabei von Haus zu Haus, ähnlich den Sternsingern, und finanzieren mit den Einnahmen auch die Weihnachtsfeierlichkeiten. Die gesamten Tätigkeiten im Rahmen des Fests werden von gewählten Sängern und für die Geschenke Zuständigen getragen. Anders als in manch anderen indigenen Traditionen fungieren Sängerinnen und Sänger in Nueva Esparta selbst häufig als „cantautores“, Dichter ihrer Lieder.
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