Einmal mehr konnte das Programm des Theaters Erfurt gestern Abend mit Nicht-Alltäglichem punkten: Zum 10. Konzert dieser Spielzeit kam eine ebenso unkonventionelle wie charmante Konstellation zustande: Dirigent Patrik Ringborg kommt aus Stockholm, wo er nach längeren Intermezzi in Freiburg und Weimar wieder wirkt, demnächst in seiner Eigenschaft als Generalmusikdirektor in Kassel mit Mozarts Le nozze di Figaro. Gleichermaßen konnte für das große Klavierkonzert in der Mitte des Programms die erst vor wenigen Jahren ins Rampenlicht gerückte armenische Pianistin Nareh Arghamanyan, die in Wien ausgebildet wurde. Höchst ungewöhnlich an einem deutschen Konzerthaus nahm sich auch der Auftakt mit einem Werk des dänischen späten Impressionismus aus: Louis Glass‘ fünfteilige Elfenhügel-Suite für Orchester aus dem Jahr 1931.

Die in ihrem koloristischen Einfallsreichtum an Strawinsky erinnernde Zusammenstellung expressiver langsamer und tänzerisch bewegter Sätze geht auf ein 1845 geschriebenes Märchen von Hans Christian Andersen zurück. In Dänemark war die Bezugnahme auf ältere mythologische Stoffe aus der unmittelbaren landschaftlichen Umgebung in der Musik sehr beliebt; die Gestaltungen schließen neben sinfonischen Dichtungen auch Opern ein.
Schon der spätklassisch-romantische Komponist Friedrich Kuhlau schrieb Musik zu Johan Ludvig Heibergs Schauspiel Elfenhügel, Niels Wilhelm Gade das hochdramatische Chor- und Orchesterwerk Elverskud („Elfenschuss“). Glass‘ Komposition nimmt sich dagegen in seinem direkten Bezug auf das Märchen verspielt und gewollt skurril aus, was in der Aufführung am 18. Mai im Theater Erfurt durch das Philharmonische Orchester (insbesondere in den Holzbläserstimmen) witzig akzentuiert abgebildet wurde.

Inszeniert wird eine vordergründig kindgerechte Welt mit Eidechsen in einem alten Baum, hinzu kommen niedermythologische Wesen wie die tanzenden Elfenmädchen, Irrlichter, der Wassermann mit seinen Töchtern, Kobolde, Trolle, Gespenster, Zwerg und Totenpferd. Diese ganze Phantasiewelt mit ihrem munteren Treiben schließt der Elfenhügel unbarmherzig in sich ein, da „die Jungen … die Irrlichter“ auf dem Feld ausgeblasen hätten. Angesichts alldessen ist es schade, dass in der deutschen Konzertlandschaft sonst so wenig von dem bedeutenden Lied-, Kammermusik- und Klavierkomponisten Louis Glass, einst Schüler von Gade in Kopenhagen, zu hören ist …

Noch häufiger als die Erzählungen um den Elfenhügel rückte die sprichwörtliche dänische Märchenfigur der Seejungfrau in den Mittelpunkt des Interesses von Komponisten durch das gesamte 19. bis ins 21. Jahrhundert hinein, unter anderem in der elektroakustischen „Klangillustration“ Den lille Havfrue aus den 1950er Jahren durch die kürzlich verstorbene Else Marie Pade. Die dritte „Nummer“ des Konzertabends stellte als Schlussklammer passend Die Seeejungfrau des Österreichers Alexander Zemlinsky aus dem Jahr 1903 vor, in der das Philharmonische Orchester Erfurt sein ganzes Volumen und instrumentales Spektrum ausbreiten konnte. Sieht man von den nicht ganz gelungenen leise(ste)n Passagen ab, so lieferten die Musiker unter Patrik Ringborgs teils tänzerisch-schwungvoller Taktstockgestik ein beinahe an eine Mahler-Sinfonie erinnerndes opulentes Klanggemälde ab. Tatsächlich lässt Zemlinskys Umsetzung des Märchenstoffs am ehesten an Richard Strauss‘ sinfonische Dichtungen denken, worauf Werkherausgeber Anthony Beaumont treffend hinwies. An diesem Abend wurde jedenfalls aus Andersens kleiner Seejungfrau der Dynamik und Fülle an instrumentalen Farben nach eine große.

Im Mittelpunkt stand freilich Sergej Rachmaninoffs op. 18, nämlich sein Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 c-Moll als ebenso gelungene Abwechslung wie stimmige Ergänzung zum insgesamt spätromantischen Rahmenprogramm. Nareh Arghamanyan, die schon den bei der Montréal International Music Competition gewann und mit Michael Sanderling und Neville Marriner zusammenarbeitete, brillierte mit einer virtuosen Darstellung wie sie Rachmaninov selbst sicher gefallen hätte. Die klare Herausarbeitung der Motive – man denke insbesondere an die pentatonisch gefärbte „armenisch“ anmutende Melodie im dritten Satz – und ihrer thematischen freien Entwicklung sorgte dafür, dass anders als in so mancher Aufführung der große Bogen sinnfällig deutlich wurde.
Der technisch überaus anspruchsvolle „Tastenzauber“ berückte das Publikum darüber hinaus und bewegte zu großem Beifall, in dessen Folge zwei wenigstens ebenso virtuose Zugaben folgten, die erste davon aus Chopins schwierigstem und dankbarstem Repertoire. Wer von ihrem Spiel verzaubert war: Es liegt bereits eine Aufnahme mit einem Klavierkonzert ihres Landsmanns Aram Khatchaturjan und mit einem anderen von Sergej Prokofjew vor.
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