Das Museum – zum Leben erweckt

Museales wird lebendig: Dabei denken wir hier nicht an die fortgesetzte Faszination eines US-Kinoschlagers, dessen numinose Seite sich nicht zuletzt dem unheimlichen Helm in Walpoles The Castle of Otranto, Eichendorffs dämonischem Marmorbild oder dem mit bedrohlicher Stimme singenden Standbild des Komturs in Mozarts Don Giovanni verdankt. Vielmehr meinen wir, wie starre Artefakte, seien es Bilder oder Skulpturen, beseelt werden und sich durch die musikalische Interpretation ihres Gehalts in Bewegung setzen. Plakativ in den Vordergrund schieben sich beim ersten Überlegen natürlich Modest Mussorgskys Bilder einer Ausstellung, in scherzhaftem, aber weitgehend unsinnigem Wortspiel von Musikern gerne in „Schilder einer Baustelle“ umbenannt.

Detail der Tastaur eines Taskin-Cembalos aus dem Jahr 1788 im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (3.9.2007, Retour1717, p.d.)
Detail der Tastatur eines Taskin-Cembalos aus dem Jahr 1788 im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (3.9.2007, Retour1717, p.d.)

„Baustelle“ ist daran allenfalls, dass die gerahmten Darstellungen als Grundlage des programmmusikalischen Orchesterwerks noch immer nicht aus dem Dunkel eines Dachbodens aufgetaucht sind, Interpretationen daher keine Inspirationen aus den Bildwerken selbst beziehen können- wohl aber durch bau- und kulturhistorische Vergleiche; man denke etwa an die hohen Stadttore von Kiew oder an Baba Yagas Hütte. Auf die Kombination aus der Wirkung von museal inszenierten Instrumenten mit Live-Musik setzt schon seit längerem das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Immer wieder finden hier dank der guten Voraussetzungen für Kammermusik Konzerte für historische Tasteninstrumente statt, die beinahe selbst schon Institution sind, etwa am 30. März 2017 um 18 Uhr eine Hommage von Lothar Fuhrmann an Jan Pieterszoon Sweelinck und seinen Schüler Heinrich Scheidemann.

Sowohl das Leben der Künstler als auch die Entstehung und Deutung eines Gemäldes beschäftig(t)en Komponisten: Raum mit flämischer Malerei im Kunsthistorischen Museum Wien (6. Januar 2006, Gryffindor, p.d.)
Sowohl das Leben der Künstler als auch die Entstehung und Deutung von Gemälden beschäftig(t)en Komponisten: Raum mit flämischer Malerei im Kunsthistorischen Museum Wien (6.1.2006, Gryffindor, p.d.)

In einigen weithin prominenten Werken der Musikgeschichte steht die Biographie des bildenden Künstlers im Mittelpunkt, weniger die konkrete Substantialität seiner Artefakte, so etwa in Hindemiths Mathis der Maler. Allerdings rückte Hector Berlioz mit Benvenuto Cellini – uraufgeführt in Paris 1838 – die einzelne Arbeit, beispielhaft an der David-Skulptur dieses manieristischen Künstlers der Renaissancezeit gezeigt, in den Mittelpunkt seiner groß angelegten dreiaktigen opéra comique, die nur lose durch Episoden mit der Autobiographie des Malers, Bildhauers und Goldschmieds selbst zusammenhängt. Der historisch wohl wasserfeste Racheakt am Mörder von Cellinis Bruder wird inklusive mitgeliefert. Mehr dem Leben Cellinis selbst widmete sich übrigens Kurt Weill 1945 mit The Firebrand of Florence, einer Operette (!) nach einem Libretto von Edwin Justus Meyer und Ira Gershwin, dem Bruder des New Yorker Komponisten. Ein Bild im Zentrum einer opera seria stellt Max von Schillings‘ Mona Lisa (1913/15) dar.

Bohuslav Martinu, der von Piero della Francescas Kreuzlegendenzyklus fasziniert war, bei der Arbeit an seiner 2. Symphonie in New York (ca. 1942, OTRS, p.d.)
Bohuslav Martinů, der von Piero della Francescas Kreuzlegendenzyklus fasziniert war, bei der Arbeit an seiner 2. Symphonie in New York (ca. 1942, OTRS, CC-Liz.)

Ganz konkret auf den Kreuzlegendenzyklus eines namhaften Künstlers und Mathematikers der Frührenaissance bezieht sich Les Fresques de Piero della Francesca, ein programmmusikalisches Orchesterwerk im Geist des Neoklassizismus von Bohuslav Martinů aus dem Jahr 1955. Die Madonna del Parto aus der Werkstatt desselben Künstlers, wie sie in Monterchi in der Toskana zu sehen ist, beschäftigte schließlich einen Exponenten der so genannten Spektralmusik neben Tristan Murail, nämlich Gérard Grisey. Sein Titel L’Icône paradoxale (1994) verweist auf den rätselhaften Charakter des interpretierten Madonnenporträts.

Ausschnitt aus Claude Debussys Clair de lune in der Suite bergamasque für Klavier. Dieser dritte Satz wurde inspiriert durch Verlaines Gedicht auf ein Kunstwerk Antoine Watteaus (Alton 1905, p.d.).
Ausschnitt aus Claude Debussys ‚Clair de lune‘ in der ‚Suite bergamasque‘ für Klavier. Dieser dritte Satz wurde inspiriert durch Verlaines Gedicht auf ein Kunstwerk Antoine Watteaus (Alton 1905, p.d.).

Den weltlichen Bereich klammerten französische Komponisten jedoch keineswegs aus: Claude Debussy vertonte Gedichte von Paul Verlaine, etwa Pierrot, Mandoline oder Clair de lune, letzteres als dritten Satz seiner Suite bergamasque, die auf Gemälde des Rokokomalers Antoine Watteau zurückzuführen sind. Ihrerseits verdanken sich diese Motiven der italienischen Commedia dell’Arte. So geht Erik Saties solistischer Klavierzyklus Sports et divertissements (1914) auf Zeichnungen des Designers und Malers Charles Martin zurück. In beiden Fällen sucht die Musik weniger eine Außenperspektive auf bildende Kunst zu vermitteln, sondern das Werk aus seinem eigenen Mittelpunkt heraus nachzuvollziehen.

 

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