Ebenso wenig wie Wissenschaft ausschließlich Amalgam sein sollte, um Lücken zu füllen, so wenig Sinn macht es, gefestigte Fakten in leicht veränderter Perspektive unter den immer gleichen hermeneutischen Prämissen einfach zu reproduzieren – was bei der zehnten und elften Biographie kanongemäßer großer Komponisten offensichtlich der Fall ist. Einen Unterschied macht es allerdings, wenn die Ansätze deutlich neu und die zu erwartenden Ergebnisse vielversprechend sind, was sowohl auf Michael Heinemanns Claudio Monteverdi: Die Entdeckung der Leidenschaft (ET: vorauss. 20.3.2017, Schott, Mainz) als auch auf die Aufsätze des Sammelbandes Tropen zu den Antiphonen der Messe aus Quellen deutscher Herkunft (ET: vorauss. 1.4.2017, Schwabe, Basel) von Andreas Haug und Isabel Kraft und auf die von Claudia Kaufold gebündelten Einzeluntersuchungen verschiedener Autoren zu Agostino Steffani: Europäischer Komponist, hannoverscher Diplomat und Bischof der Leibniz-Zeit (ET: vorauss. 3.4.2017, V&R unipress, Göttingen) zutreffen dürfte.

Um Elliott Carters Temposynkrasien, Weberns Halbton im kontrapunktischen Satz, wiederkehrende Strukturen in dessen Werk, die implizite Mechanik von Strawinskys Ballett Le Sacre du Printemps und die von Benjamin Lang aufgedeckte Lachenmann-Widmung in Gérard Griseys Vortex Temporum sowie Horazio Vaggiones elektroakustischen 24 Variations geht es in dem kürzlich erschienenen Spotlights-Kompendium überwiegend junger Wissenschaftler unter dem Motto Lost in Contemporary Music? Neue Musik analysieren (Januar 2017, ConBrio, Regensburg). Es handelt sich zwar lediglich um kleine Ausschnitte aus dem vielfältigen Gesamtspektrum zeitgenössischer Musik, dabei allerdings um originelle und erkenntnisreiche material-empirische Detailstudien. Darüber hinaus werden alle wichtigen Aspekte durch die entsprechenden Notenbeispiele verdeutlicht.

Als erhellende bild- und aufführungskritische Ergänzung zu der theoretisch grundlegenden Arbeit von Ivana Rentsch Die Höflichkeit musikalischer Form kann Annette Kappelers Studie L’Œil du Prince in der Reihe eikones (EJ: 2016, Wilhelm Fink, Paderborn) der Universität Basel gelesen werden. Die hier in den Blick genommenen Auftrittsformen in der Oper des Ancien Régime machen im Vergleich – auch zwischen dem 17. und 18. Jahrhundert – die von den Prämissen barocker Zeige- und Ausdrucksästhetik divergierenden praktischen Ausformungen musikalischer Repräsentationen am Hof Ludwig XIV. deutlich, die auch von den theaterarchitektonischen und (innen-)politischen Bedingungen modifiziert werden.

Interessante Zusammenhänge dürfte das aktuelle Handbuch in der Reihe Gattungen der Musik, nämlich Geschichte des Kunstliedes (ET: 2017, Laaber) von der ausgewiesenen Opern- und Liedexpertin Elisabeth Schmierer aufdecken. Die Musikwissenschaftlerin berücksichtigt dabei auch auf die Vorformen des Kunstlieds im Mittelalter und geht auf dessen gegenwärtige Spielarten ein. Auch bislang wenig bekannte Beispiele werden eingehend vorgestellt. Die auf Johann Jakob Frobergers Allemanden für Tasteninstrumente konzentrierte Untersuchung Kadenz und Gegenwart von Ralph Bernardy (Januar 2017, Wolke, Hofheim) zeigt, wie gerade barocke Tanzmusik in dessen Werk eine geistige Hypostasierung erfährt und ein ganz und gar subjektives Erleben von „Zeit und Zeitlichkeit“ innerhalb ihrer quasi „zeitlosen“ individuellen Gestaltung vermittelt.
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