Zwischen Tür und Angel

Bei einer empirischen Untersuchung im öffentlichen Personennahverkehr zwischen Güstrow, Waren und Parchim legten die Beobachter bzw. Autoren den Probanden unter anderem auch die Frage vor, ob „alle Ortschaften in“ ihrem „Gemeindegebiet eine Grundversorgung mit Gütern und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs“ besäßen. Ergebnis der Studie war, dass diese „Güter“ ebenso wie hochwertige Arbeitsplätze in der erforschten Region „nur bedingt“ und vor allem „nicht kleinräumig flächendeckend“ angeboten werden könnten. Postulat aus der ländlichen Raumstudie war, dass „Versorgungseinrichtungen“ erhalten und ausgebaut werden sollten. Doch konnte die Wissenschaftlergruppe ebenso feststellen, dass die Versorgung mit reinen Gütern „des täglichen und gehobenen Bedarfes … trotz der dispersen Siedlungsstruktur noch relativ gut“ funktionierte.

Fußgängerzone als Durchgangsraum in Sao Paulo: Eine treppenförmig verlaufende Shopping-Mall (Brazil Adam63, 25.7.2009, CC-Liz.)
Fußgängerzone als Durchgangsraum in Sao Paulo: Eine treppenförmig verlaufende Shopping-Mall (Brazil Adam63, 25.7.2009, CC-Liz.)

„Viele der kleinen Orte besitzen noch einen eigenen Lebensmittelladen oder werden teilweise mehrmals pro Woche von verschiedenen Versorgungsmobilen, wie Metzger, Bäcker oder Lebensmittelhändler, angefahren. … Haushalte mit eigenem Pkw fahren zur Deckung des täglichen Bedarfs überwiegend in die nächstgelegenen Unterzentren. Hier haben sich nach der Wende, meistens am Rande des Ortskernes oder am Ortsrand, großflächige Einzelhandelsbetriebe niedergelassen. … Zur Deckung des gehobenen und spezialisierten Bedarfs werden größtenteils die Mittelzentren angefahren.“

Da es in erster Linie um eine nachhaltige Verkehrsentwicklung geht, spielt die Versorgung mit Speisen und Getränken nur am Rande eine Rolle. Die Rolle des Zugpersonals ist aus diesem Zuständigkeitsbereich nach Meinung der Autoren weitgehend ausgeschlossen: Nur „gegebenenfalls“ sollten „Serviceleistungen wie Prepaid-Karten- oder Getränkeverkauf“ angeboten werden. Damit beziehen sie sich wohl auf die beobachtete und ermittelte geringe Nachfrage im strukturschwachen Gebiet.

Wenn aber die Funktionalisierung eines städteplanerisch durchformten Raums weitgehend perfektioniert ist, welchen Ort findet dann die Kultur des Einzelnen, dessen Bedürfnis nach schnellem Vorwärtskommen zwar Rechnung getragen wurde, der aber selbst doch anonym bleibt? Kann er durch seine Anwesenheit die Sphäre des Raums und damit diesen selbst verändern? Dass Menschen raumbezogen agieren, ist als selbstverständlich vorauszusetzen; sie können sich dem Einfluss eines Raumes nicht entziehen. Soll diese Relation genauer beschrieben werden, muss das heterogene Bild des Transitionsbereichs aus Sicht seiner Nutzer notwendig aus einer empirischen Untersuchung hervorgehen, deren Methodik von der teilnehmenden Beobachtung über die punktuelle Befragung und standardisierte Fragebögen bis hin zu einem die Persönlichkeit berücksichtigenden Interview reichen kann. Mit dem Fragebogen lassen sich zumindest statistisch einigermaßen sichere Werte über das „Wie“ der Nutzung des darzustellenden Raums erhalten. Das Verhältnis der Person zum Raum und damit seine komplexe kulturelle Semantisierung ist letztlich nur durch die individuelle und vom Interviewpartner selbst mitgesteuerte Befragung zu gewährleisten.

Doch wie verhalten sich einzelne Personen in Transitionsbereichen tatsächlich? Lokale Konzepte von Identität greifen hier nicht, da sich Menschen in Bewegung an ein Ziel befinden, auf das auch ihre persönliche, meist existentielle Intention ausgerichtet ist. Die Netzwerktheorie selbst kommt ebenso wenig zum Zuge, da sie die empirische Rekonstruktion sozialer Gruppenbildung ermöglicht, nicht aber auf bloße ritualisierte Kommunikation zu beziehen ist. Eher lässt sich in diesen, auch in ländlichen Gebieten weitgehend urban geprägten Zwischenbereichen feststellen, was Barry Wellman am Beispiel von Ego-Netzwerken in East York beschrieben hat, nachdem bei weitgehender lokaler Anonymität die Menschen ihre Beziehungen schicht- und raumübergreifend praktizieren. In letzter Konsequenz könnte dies bedeuten, dass Zonen des Übergangs vom Kommunikationsmangel geprägt sind. Doch betrifft diese Schlussfolgerung auch nur die rein äußerlich feststellbaren, von dumpfer industrieller Ritualisierung getriebenen Interaktionen. Was im Rahmen der wie mechanisch ablaufenden Prozesse möglich ist, unterliegt der Auslegungs- und Gestaltungskraft des eingebundenen Individuums und seiner kommunikativen Disposition.

Zuhören im Vorbeigehen: Kammermusik bei sommerlichem Wetter am Zugang zu einer Wiener Metro-Station (23.7.2012, Senia L, CC-Liz.)
Zuhören im Vorbeigehen: Kammermusik bei sommerlicher Witterung am Zugang zu einer Wiener Metro-Station (23.7.2012, Senia L, CC-Liz.)

Noch einmal ist auf den Flüchtigkeitscharakter der Situation an Verkehrsdrehkreuzen wie zum Beispiel einem Umsteigebahnhof zurückzukommen. Dieser erschwert nicht nur persönlichen Austausch, sondern vordergründig auch die individuelle Ausbildung von symbolischer Interaktion. Die Mobilität beansprucht einen besonders hohen Grad an Schematismus und Pragmatismus. Das hängt natürlich damit zusammen, dass kaum soziale Beziehungen zwischen den Individuen bestehen bzw. hergestellt werden können, wenn Menschen und Maschinen, Alles und Jeder, in Fort-Bewegung ist. Symbolcharakter tragen hier in materieller Konkretisation mehr die überwiegend konsumindustriellen Embleme der Warenanbieter, die Fahrkartenverkaufsstellen, Reisebüros, Bäckereien und Kioske.

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