Mit Schwung, Gleichmaß und dem tschechischen Melos angemessenen Temperament dirigierte am Vorabend zum vierten Advent die schon in Luzern und Katowice erfolgreiche griechische Dirigentin Zoi Tsokanou durch einen langen Opernabend: Bedřich Smetanas „Nationaloper“ Die verkaufte Braut, uraufgeführt 1866 in Prag, brach sich damit nun am Theater Erfurt Bahn; Interesse und Neugier waren im Vorhinein groß, was sich an den hohen Besucherzahlen deutlich ablesen ließ. Das Philharmonische Orchester Erfurt und der Chor erwiesen sich wiederum in besonderer Weise als geeignet, die normalerweise nicht aufs erste Hören zu entdeckenden harmonischen wie melodischen Finessen der Partitur herauszuarbeiten.

Hier gilt es zudem nicht einfach böhmisch-mährische Ländler plakativ herauszuposaunen, vielmehr sah sich die Dirigentin herausgefordert, die Vielschichtigkeit der rein instrumentalen ebenso wie der ariosen Partien offenzulegen. Denn wie viele Bezüge zu westeuropäischer Musik, folkloristische Allusionen, Parodien älterer Theatermusik (man denke an die quasi-rezitativische Harfenbegleitung in einem der Monologe), zur italienischen lyrischen Dramatik vor Verdi und Anleihen bei sich selbst finden sich eigentlich nicht in dieser komplex angelegten Oper? Der musikalischen Faktur steht Karel Sabinas Libretto beinahe als komische Kehrseite eines Dorfromans gegenüber: Das eher derbe Sujet, das als reiner Plot nicht selten an einen Komödienstadel erinnert, erfährt seine Verfeinerung durch Nuancen, manchmal mittels spaßiger Zwischenfälle wie dem Auftritt der Komödiantentruppe, die ironischerweise gerade den zur Heirat gezwungenen stotternden Wenzel – verkörpert durch den stimmstarken jungen Tenor Julian Freibott – rekrutieren möchte.

Selten bekam man bei der unüberschaubaren Zahl an Aufnahmen die Einschübe der symphonischen Vltava, „Die Moldau“, in solch nobler Eleganz hören: Zoi Tsokanou gelang es jegliches Wagnerianische Pathos aus der Partitur auszuklammern und insbesondere die Tanzpassage ebenso „swingend“ wie feinsinnig darzustellen sowie die sonst gerne derb herausgehämmerte Oberfläche durch eine wahrhaft „taktvolle“ Interpretation zu untergraben. Es lässt sich als geschickter Zug der Dramaturgie von Arne Langer bezeichnen, dass die Unterlegung der Handlung durch Die Moldau gerade dort eintritt, wo sie die Nöte des sich vom Elternhaus emanzipierenden Wenzel illustriert, der wie mit dem beständigen Weiterziehen des Flusses und dem möglichen Anschluss an die Komödianten seinem Auszug aus dem heimischen Dorf entgegenstrebt. Im Libretto ist dieser dramatisch freilich durch den Wunsch seines Halbbruders Hans, Marie zu heiraten, bedingt.

Beide Protagonistenrollen wurden von dem österreichischen Tenor Thomas Paul und der stimmgewaltigen norwegischen „dramatischen“ Sopranistin Margrethe Fredheim mit großer Einfühlung wie Leidenschaft gesungen. Der nur scheinbare Verkauf der Braut um 300 Gulden wird dank der augenzwinkernden Mimik des liebenden zukünftigen Bräutigams immer wieder zu Bewusstsein gebracht, den tragischen Passagen, die mit tiefgängiger Schwere musikalisch ausgedeutet wurden, damit ihre Last genommen.

Ähnliches kann vom Mephistopheles des Librettos, dem Heiratsvermittler Kezal gesagt werden: Dem ihn verkörpernden Basssänger Gregor Loebel sind in dieser Rolle Verschlagenheit, Schalk, pfiffige Ironie und Sarkasmus an jeder Stelle der Aufführung ins Gesicht geschrieben. Als Schicksalswalter und Menschenspieler kommt der Figur vorderhand die Schlüsselfunktion des komischen Dramas zu, doch wird seiner eigennützigen Geschäftstüchtigkeit ja durch den Doppelsinn des von Hans unterschriebenen Ehe(verkaufs)vertrags regelrecht der Boden entzogen, deutlich zu sehen an Kezals zerknirschter Mimik im dritten Akt. Nicht nur stimmlich, auch schauspielerisch legt Gregor Loebel hier eine fast nicht mehr zu überbietende Leistung vor, die ihn mühelos in jeder Verfilmung großer Literatur überzeugend erscheinen ließe.

Hätte sich auch mancher die Oper originalgemäß auf tschechisch gesungen und mit deutschen Untertiteln gewünscht, um noch mehr von der genuinen emotionalen Faktur des Werks zu erfahren, so waren die deutschen Stimmen durchgängig gut akzentuiert und mit wenigen Ausnahmen leicht zu verstehen, auch ohne das man den Text hätte kennen müssen. Die Ausstattung durch Mila van Daag und die Inszenierung von Markus Weckesser erweisen sich als genialer Wurf: Die Kostüme versuchen die Authentizität eines europäischen romantischen Realismus im Sinne von Manzonis I promessi sposi zu transportieren, aber das Bühnenbild mit der aufgehenden südländischen Sonne über mährischen Getreidefeldern kommuniziert dem Publikum Weite mit einer Tiefendimension bis zum Horizont.

Denn schließlich geht es um Nähe und Ferne, Ankommen, Wiedersehen und Abschied, der durch den Halbbruder Wenzel denn auch vollzogen wird. Im Übrigen wird dieser Rolle von Julian Freibott auch in schauspielerischer Hinsicht genial entsprochen, Sprünge über Stühle und von einer Leiter wie die selbstredende Zurschaustellung der Schüchternheit in persona figurae eingeschlossen. Dem großen Opernereignis des Samstags ganz im Verständnis eines abgerundeten Gesamtkunstwerks folgte zu Recht anhaltender jubelnder Applaus.
Weitere Termine: 26.12.2016, 18 Uhr; 8.1.2017, 15 Uhr; 28.1.2017, 19.30 Uhr
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