Dass Richard Wagner, sonst auch bekannt für antisemitische Ausfälle, gegen Mozarts Così fan tutte wetterte, macht diese oft mit dem Verdikt des Albernen belegte Oper als eine seiner letzten erst richtig sympathisch: Einmal, weil sie der realen Menschenwelt den Spiegel vorhält, zweitens, weil sie von fortgeschrittenem melodischem Einfallsreichtum ist, der die klassische Maßschneiderei auch einmal vergessen lässt. Und es war ein glückliches Zusammentreffen, dass sich gerade das Philharmonische Orchester Erfurt in adäquater kleinerer Besetzung der Premiere annehmen durfte, denn hier konnten die Hörer sicher sein, die besonderen kantablen, rührenden und melodramatischen Einfälle des (manchmal allzu?) weltzugewandten Salzburger Genius‘ in aller Klarheit und Durchhörbarkeit präsentiert zu bekommen, nicht zuletzt dank einer energiegeladenen Joana Mallwitz als Dirigentin, die in den rezitativischen Teilen persönlich den Continuopart spielte.

Auch dass es sich schon um den zweiten Abend nach der Premiere handelte, tat der musikalischen Leistung keinen Abbruch. Die instrumentale Brillanz wurde durch die Auswahl der Sänger passend sekundiert; insbesondere Won Whi Choi als gefühlvoll timbrierender Ferrando, Siyabulela Ntlale mit überdeutlich artikulierender Stimme als zynischer spiritus rector Don Alfonso und die ihm zur Seite stehende Daniela Gerstenmeyer in Despinas Rolle sicherten der Aufführung ihren dramat(urg)ischen Zusammenhalt. Denn Così fan tutte – in Wien 1790 uraufgeführt – macht es auch den Regisseuren wirklich nicht leicht …
Wie lässt sich das zeitlose Thema inszenieren, Lorenzo da Pontes schwebendes und fast ohne Berührung mit Aristoteles‘ poetischen Kategorien verfasstes Libretto audiovisuell stimmig umsetzen? In Berlin setzte man erst vor kurzem auf eine eher nüchterne, dem Outfit der „Sattelzeit“ im 18. Jahrhundert entsprechende Präsentation, in Erfurt werden die Ebenen gemischt, parallel zu einer aus den Angeln geratenden, wie das Haus auf der Bühne kopfstehenden Welt, die Dorabella alias Sharon Carty und Fiordiligi alias Margrethe Fredheim zunehmend in Verwirrung stürzt.

Die Kostümierung der beiden Schwestern situiert das Geschehen in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, während die Aufmachung ihrer Verlobten eine Mixtur aus persiflierter Orientmode – wie sie Mozart in der Entführung aus dem Serail exponierte – mit Anklängen an die Sphäre libyscher Militärdiktatoren und einer im Bordell verorteten Travestiekunst darstellt. Ausschweifung und Übertretungen des Gebotenen sind Resultate aus der Flucht der Männer ins Feld und ihrer Abwesenheit, welche die beiden rechtschaffenen Frauen ungewollt in die Enthaltsamkeit zwingt. So jedenfalls zeigt es Hieronymus Boschs um 1500 entstandenes Triptychon, dessen imaginierte groteske Zustände zwischen Himmel (links) und Hölle (rechts) ganz bewusst im Bühnenspiel integriert werden, etwa, indem den geschlechterwechselnden Protagonisten während der mit Gewalt herbeigeführten Hochzeitszeremonie im 2. Akt Champagner durch einen Trichter infiltriert wird.

Teilweise verdichten sich die in Sketchform umgesetzten Einfälle der Inszenierung zur „Jam Session“, insbesondere am Ende beider Akte, so dass der gelegentliche Eindruck eines bloßen Nacheinander kurzer, schnell aufeinander folgender Szenen wieder verwischt wird. Die Bühnenaktion verlebendigt sich an diesem Opernabend, der geradezu in ausschließender Konkurrenz zu den Märkten des ersten Adventssonntags stand, spürbar im 2. Akt. Im halb aus dem Graben vor der Bühne ragenden Orchester bringen vor allem Holzbläser und Querflöten die textbedingte, eher spannungsarme Handlung in Schwung. Das triumphale Happy End wäre nicht möglich ohne die Verstellung der beiden männlichen „Helden“ als Verführer, deren wahrhafte Treue der Leiter des gewagten Gesellschaftsexperiments, Don Alfonso – mit viel spielerischem Humor verkörpert durch Siyabulela Ntlale – hier auf die Probe stellt.
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