Jules Massenet gehörte zu den wenigen männlichen Musikpädagogen seiner Zeit, die Frauen auf dem Weg zu Komponistinnen dezidiert unterstützten. Als die in Paris inskribierte Konservatoriumsstudentin Mon Schjelderup im Dezember 1893 einmal auf Besuch bei ihm weilte, forderte er sie auf, ausführlich von jenem Orchesterstück zu berichten, das sie im Herbst desselben Jahres am Theater von Christiania zur Aufführung gebracht hatte. Hier ging es nicht nur um den Applaus und die Blumen, die sie anlässlich des Konzerts in Empfang genommen hatte, sondern um eine seiner vielen Ermutigungen, den beschrittenen Weg weiter zu gehen, da er keinen prinzipiellen Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Fähigkeiten, erfolgreich Musik zu schreiben, sah.

Die Norwegerin aus Fredrikshald, dem heutigen Halden, hatte ihre erste Komposition bereits im Alter von 14 Jahren vorgelegt, bevor sie bei der namhaften Pianistin Agathe Backer-Grøndahl studieren konnte. Die bedeutende Musikerin, die das so genannte goldene Zeitalter norwegischer (bürgerlicher) Musik repräsentierte, übte starken Einfluss auf die junge Schülerin aus. Mon Schjelderup setzte ihre Musikstudien einschließlich Theorie in Berlin, dann am Konservatorium zu Paris unter der Ägide von Jules Massenet fort.

Nach ihrem Debüt als Pianistin in Christiania begann sie am Konservatorium bald selbst das Fach Klavier zu unterrichten und die Arbeit am eigenen Oeuvre voranzutreiben. Dieses schließt für das ausgehende 19. Jahrhundert bei einer komponierenden Frau ohnehin ungewöhnlich etliche Orchesterwerke ein, von denen ihre Ballade op. 2 und die Zwei Romanzen op. 6 von 1894 genannt seien.
Zu ihren zahlreichen Kunstliedern, von denen die wichtigsten zwischen 1899 und 1905 entstanden, zählt auch Die Birke im Brautschleier, dem kürzlich Lilli Mittner eine ausführliche Betrachtung widmete. Der Text zu der als op. 24 veröffentlichten Lyrikvertonung stammt von Theodor Caspari, der ihr dafür zwei Dankesbriefe schrieb, da wohl insbesondere bei seiner Frau die Komposition großen Zuspruch erfahren hatte. Für Interpretinnen und Interpreten stellt sie eine nicht geringe Herausforderung dar, da die Nuancen im Notentext nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind, sondern nach genauem Studieren und mit Fingerspitzengefühl erst herausgearbeitet werden müssen.

In einem der Verse dieses Gedichts, dem die Komponistin besonderes Gewicht beimaß, verschiebt sich der Rhythmus nur für den Hörenden erkennbar vom Dreier- zum Zweiermetrum, während er im Notentext vorerst verborgen bleibt; zugleich moduliert Schjelderup ebenso „unter der Oberfläche“ von cis-Moll nach fis-Moll. Ähnliche Feinheiten haben Ausführende auch in anderen Klavierwerken wie Au printemps oder den nur in technischer Hinsicht leichten Stücken unter dem Sammeltitel Trifles (1903) beachten, bevor sie sich an den Vortrag wagen.
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