Mag sein, dass in und um Beethovens Ära hastig nach dem Notenpapier gegriffen wurde, wenn für die eine oder andere Klavierkomposition wenig Zeit blieb, da andere Verpflichtungen warten: Die Verniedlichungsvariante oder kleine Schwester der Sonate galt vorwiegend seit der Wiener Klassik als einfach zu spielendes Stück für zwischendurch, sicher auch geeignet im Unterricht mit „falschen Anfängern“. Bei denjenigen, die eine sekundäre Gattung wie die meist dreisätzige Sonatine gerne pflegten, bedurfte sie bei Könnern ihres Fachs – wir reden etwa von Diabelli, Kuhlau und Clementi – keiner zeitraubenden Denkarbeit, da ihre Durchführung, so überhaupt vorhanden, in der Regel knapp gehalten und damit Papier eingespart werden konnte …

Soviel zur praktisch(er) handzuhabenden Miniaturausgabe der Sonate, die im Verlauf der romantischen Periode gerade dazu benutzt wurde, um dem Anspruch der klassischen Sonate mit ihrer schwierigen „Hauptsatzstruktur“ auszuweichen: Maurice Ravels Beitrag diente vielleicht auch dazu, eine raffiniert-eigenwillige und nur ohrenscheinlich einfache Komposition vorzulegen; dementsprechend definierte er die Sätze seiner Sonatine nicht nach den herkömmlichen Tempoangaben, sondern eher mit Zwischenstufen und historischen Bezeichnungen der Metronomskala: Modéré, Mouvement de menuet und Animé. Zudem handelte es sich kaum um eine flüchtig mit Bleistift hingeworfene Komposition; die Arbeit daran zog sich über eine Zeitspanne von wenigstens zwei Jahren hin.

Sein unwesentlich älterer Zeitgenosse und Landsmann Charles Koechlin etwa legte neben anderem zwei Sonatinen in der originellen Besetzung für Oboe d’amore, Flöte, Klarinette, Harfe und Streichsextett vor. Alfredo Casella entlastete sich 1928 mit seiner Sonatina op. 28 von der gewichtigen Großform. Ein bewusst provokantes Ausweichmanöver wählte allerdings Ferrucio Busoni: Er etikettierte sechs strukturell und inhaltlich komplexe Soloklavierwerke als Sonatinen; sie entstanden seit 1910 über einen längeren Zeitraum von zehn Jahren. Auch im 20. Jahrhundert gebrauchten Tonkünstler hin und wieder die zur Geschichte geronnene Form, etwa Jean Sibelius, John Ireland oder Aram Khatchaturian.

Vor der Zeit der Sonatenhauptsatzform war J.S. Bach mit seinen Kantaten nicht der erste gewesen, der für Einleitungssätze zu größer dimensionierten Werken die Bezeichnung Sonatine verwendete – Nikolaus Bruhns ging ihm voran. Und schon der Berliner Kammerlautenist Esaias Reusner setzte 1676 die Diminutivform der Sonate ein, um präludien- und tokkatenartigen Ouvertüren zu seinen Orchestersuiten einen Namen zu geben. Diese Tradition setzte noch einer der möglichen deutschen Schüler Lullys, nämlich Johann Caspar Ferdinand Fischer, 1738 fort. Danach vergingen etliche Jahrzehnte, bis die Sonatine als tatsächliche „kleingeschrumpfte“ Variante der Sonate unter bürgerlichen Vorzeichen für den didaktischen Hausgebrauch auf den Plan gerufen wurde …
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