Unregelmäßig arpeggierte Akkorde mögen zunächst als manierierter Einfall der schnörkelreichen Zopfzeit gelten. Sie wurden aber im 17. Jahrhundert auch eingesetzt, um Sturm im Wasserglas der etablierten Schulen zu entfachen. In Frankreich standen sich im 17. Jahrhundert jedenfalls verschiedene konkurrierende Moden des Lauten-, Theorben-, Gitarren- und Gambenspiels gegenüber: Der „gepflegt“ polyphone Stil der so genannten Französischen Lautenschule entwickelte sich nach einem höfischen ästhetischen Ideal. Diesen übernahm ausgehend von Lautenisten der Spätrenaissance wie René Mézangeau etwa die „Dynastie“ der Gaultiers: Nach Ennemond arbeiteten seine Nachkommen Denis (1599 – 1681) und Pierre (1603 – 1672) Gaultier an dieser Kompositions- und Spieltechnik weiter. Auch Charles Mouthon und noch Robert de Visée können als ihre Erben angesehen werden.

Als Beispiele für einen um 1700 kursierenden style luthé benannte François Couperin Passagen seiner Stücke La Mézangère, Les Barricades mystérieuses und Les Charmes im „Lautenstil“. Wenig später stößt man auf die Bezeichnung style brisé oder „gebrochener Stil“ durch Lionel de la Laurencie, der diesen im Zusammenhang mit den Kompositionen der Gaultier-Familie verwendet. In den bezeichneten Werken Couperins finden sich in großer Zahl irreguläre Akkordbrechungen gewissermaßen zur Abwechslung für das Ohr, bei genauerer Betrachtung jedoch, um mit dem Faktor „Zeit“ in Instrumentalstücken zu spielen: Nicht nur findet sich hier eine „regelfremde“ Aufteilung der Stimmen und Verteilung der Töne eines Akkords, sondern treten auch in sich uneindeutige melodische Linien auf und in den Melodien verschiebt sich der Rhythmus durch anders gesetzte und hervorgehobene Töne mit unterschiedlichen Längen. Dementsprechend verändert sich im übrigen auch die Länge der jeweiligen Abschnitte; außerdem lassen sich ungebräuchliche Oktavierungen innerhalb einer Melodie entdecken.

Diesem moderneren Stil hing offenbar auch der Lautenist Jaques de Saint-Luc (1616 – 1710) an, dessen Geburtstag sich 2016 zum vierhundertsten Mal jährt. Als bestellter Lautenist trat er 1639 in Brüssel auf, um dort Villancicos vorzutragen, zwei Jahre später ist er als Instrumentalist am dortigen Hof bezeugt. Da zwei seiner Stücke für Theorbe in einer Utrechter Sammelhandschrift um 1660 auftauchen, war man geneigt anzunehmen, dass er zu diesem Zeitpunkt schon über die Grenzen Belgiens hinweg bekannt war. Im Jahr 1700 spielte der in Wien im Dienst des Prinzen Eugen von Savoyen geführte Komponist in Berlin auf einem Tafelkonzert anlässlich einer derzeit bedeutenden Eheschließung: Die Prinzessin von Brandenburg gab hier dem Prinzen von Hessen-Kassel das Jawort. Ein Amsterdamer Drucker edierte seine Suites pour le luth von 1707 bis 1708. Allerdings scheint Jaques de Saint-Luc für unterschiedliche Häuser gearbeitet zu haben, denn zwei Allemanden und ein Marsch sind hier dem Fürsten Ferdinand August Leopold Lobkowitz zugeeignet.

Prise de Lille nennt sich Saint-Lucs letztes datierbares (und programmatisches Stück), das er mit 92 Jahren – einem gerade in dieser Zeit bemerkenswert hohen Alter – im Dezember 1708 an die Öffentlichkeit brachte. Sein Gesamtwerk, das ganz dem eigenen Vortrag und wohl dem Unterricht gewidmet scheint – umfasst etwa 200 Stücke alleine für Laute solo und etliches mehr. Jean-Baptiste Cotillon galt er nach einer Erwähnung in dessen Recueil de pièces von 1729 als Meister, der mit „großem Geschick“ die Laute zu spielen wusste. Gerade die fein ausgearbeiteten Verläufe seiner Melodien und besondere klangliche Effekte positionieren ihn aus heutiger Sicht eher im Umfeld der Vertreter des style brisé als der Französischen Lautenschule. Louis Couperin und Robert Ballard tendierten ebenfalls zum „gebrochenen Stil“, von dem zuerst die 1600 erschienene Sammlung Le trésor d’Orphée kündete.
Schreibe einen Kommentar