Naturklangstudien, Enharmonik, Bitonalität

Hinter etlichen KomponistInnen ihrer Zeit stand Phyllis Campbell wohl nur deshalb zurück, weil sie wegen ihrer theosophischen Anhängerschaft vom Publikum und der Presse „außerhalb“ nicht so recht wahrgenommen wurde. Die Verwendung des von Skrjabin eingeführten „mystischen“ Akkords im Zusammenhang mit der kosmischen Idee und Ästhetik ihres Zirkels und die Neigung zu einer nicht von Quintverwandtschaften abhängigen Mischung der Tonarten im Sinne einer höchst eigenwilligen Enharmonik lässt ihr Werk heute moderner erscheinen als das von vielen bekannteren ihrer Zeitgenossen. Tatsächlich entwickelte die 1891 in England geborene Klavierdozentin nach dem Zweitstudium der Komposition bei Alfred Hill in Sydney ihren Zyklus Nature Studies (1925-28) ganz bewusst auf der Basis theosophischer Vorstellungen.

Dem in Europa exotischen Kookaburra (hier ein Exemplar von Tasmanien) widmete Phyllis Campbell (1891 - 1974) ein ungewöhnliches "Lullaby" (J.J. Harrison, Hobart, Waterworks Reserve, 23.6.2010, p.d.).
Dem in Europa als Exot geltenden Rieseneisvogel oder Kookaburra (im Bild ein Exemplar aus Tasmanien) widmete Phyllis Campbell (1891 – 1974) ein ungewöhnliches „Lullaby“ (J.J. Harrison, Hobart, Waterworks Reserve, 23.6.2010, p.d.).

Zu ihrem modernen Stil, der gelegentlich – vor allem angesichts der Anreicherung mit Obertönen und clusternahen Konsonanzen – an Henry Cowell denken lässt, zählen im Hinblick auf ihre Phantasien aus den 1930er Jahren abrupte chromatische Wechsel, rhapsodische Sequenzen, die nach Improvisationen klingen und die häufige Ergänzung von Akkorden durch Sexten, Septimen oder Nonen.

Campbells Werkkatalog weist eine große Zahl von Besetzungen mit Streichinstrumenten auf – ein Spiegel der eigenen Praxis, denn sie trat auch als Geigerin und Bratschistin in Erscheinung. Fiona Fraser weist darauf hin, wie deutlich etwa die dissonante Gestaltung der Schlusstakte ihres Stücks Lullaby to a Kookaburra von jeglicher Konvention abweicht. Zu ihrer Vorliebe für Quarten und Quinten kommt der kalkulierte Einsatz pentatonischer Melodien im letzten Satz der 1. Sonatine aus dem Jahr 1931. Hier wird der exotische Eindruck noch durch die Begleitung der linken Hand mit Quart- und Quintparallelen verstärkt.

Pentatonische Melodiemuster wie hier  tauchen in Phyllis Campbells Sonatina No. 1 von 1931 auf (Pentatonik, String-Skipping, 12.3.2006 upl., p.d.).
Pentatonische Melodiemuster wie hier tauchen in Phyllis Campbells Sonatina No. 1 von 1931 auf (Pentatonik, String-Skipping, 12.3.2006 upl., p.d.).

Bei der textauslegenden Vertonung von Lyrik aus dem Englischen, Deutschen, Chinesischen und Japanischen in ihren Liedkompositionen nutzte sie außerdem bis dahin selten begangene Wege, etwa im 1930 geschriebenen The Bush durch den Gebrauch der Ganztonleiter sowohl in der Singstimme als auch in der Klavierbegleitung.

Fremdländischem Kolorit suchte Phyllis Campbell Rechnung zu tragen, indem sie in ihrem Kunstlied The Fallen Maple-Leaves nach einem japanischen Gedicht nichtverwandte Akkorde in der rechten und linken Hand gegeneinander setzte und so einen quasi bitonalen Klangraum schuf – dies ebenfalls ein ungewöhnlicher Coup gemessen an der Entstehungszeit um 1928. Anders als ihr Landsmann Percy Grainger etwa suchte sie ihr „Heil“ nicht im weit entfernten Europa, sondern arrangierte sich mit der von Wildnis und Steppe geprägten australischen Umgebung, indem sie sich gemäß der Idee vom spirituellen Wesen aller Dinge von der Landschaft ihres Heimatkontinents inspirieren ließ.

 

 

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