Seit der historisch grundlegenden Studie über das venezianische Gondellied von Herbert Schneider in der Sammelstudie L’opera tra Venezia e Parigi aus dem Jahr 1988 hat sich die Musikforschung der Barkarole nur stiefmütterlich angenommen. Dies verwundert ein wenig, wenn man sich die andauernd lange hohe Popularität dieser sowohl vokalen als auch instrumental genutzten Gattung im 6/8-Takt vor Augen hält: Das schlichte Werktagslied der Gondoliere in den Kanälen der italienischen Lagunenstadt mutierte aufgrund der denkbar „romantischen“ Arrangements, etwa der Ausfahrt eines verliebten oder frisch verlobten Paares, natürlich rasch. Wegen ihrer weichen, in Moll gehaltenen Melodik trat die Barkarole trotz der ursprünglichen einfachen Herkunft bald schon ihren Siegeszug in der französischen höfischen Oper an.

André Campra verwendete die Barcarolle in seiner für den Hof erdachten Ballettoper Les fêtes vénitiennes, viel später griff sie Carl Maria von Weber in seinem Oberon auf und Verdi in seiner Musiktragödie Otello. Auch die Schöpfer der Pariser und Wiener Operette nutzten sie im Zusammenhang mit den von ihren Libretti vorgesehenen festlichen Bühnenauftritten, Johann Strauß in Eine Nacht in Venedig, Jacques Offenbach mit Schöne Nacht, du Liebesnacht in Les Contes d’Hoffmann.
Schließlich verschaffte sich die hochgradig stlilisierte Barcarolle dank Chopin und Mendelssohn Zutritt in die Sphären der Biedermeiersalons. Felix Mendelssohn-Bartholdy bediente sich ihrer in den Liedern ohne Worte, Schubert adaptierte sie in seinen romantischen Kunstliedern, etwa in Des Fischers Liebesglück. Das häufig sentimental gestimmte Schifferlied rückte in der Kunstperiode fast gänzlich von seinem originär vokalen Charakter ab und fand nun überwiegend Verwendung in einem solistisch pianistischen Repertoire. Späte Aufmerksamkeit fand die Form durch Faurés 13 Barcarolles für Klavier.

Besondere Berühmtheit erlangte das Fis-Dur-Paradestück op. 60 von Frédéric Chopin aus dem Jahr 1846. Nach Chopins Musterbeispielen der Klaviergattung und Faurés zeitlich weit ausgedehnten Zyklus von 1880 bis 1921 schuf der armenisch-russische Komponist Arseni Nikolajewitsch Koreschtschenko ein gleichnamiges Orchesterwerk, das in den Konzertsälen weite Verbreitung fand.

Beinahe singulär für Brasilien taucht die dem Klavier zugeeignete Barcarolle im op. 13 von Brasílio Itiberê da Cunha wieder auf. Der Amerikaner Edward MacDowell komponierte eine Barcarole im Tempomaß eines Allegretto grazioso für gemischten Chor mit Klavier zu vier Händen nach einem Gedicht von Mirza Schafi in der Bearbeitung von Friedrich Bodenstedt, der katalanische Gitarrenvirtuose Emilio Pujol schrieb seinem Instrument ein Exempel auf den Leib, während sich der Pariser Organist Louis Vierne der romantisch-traditionsreichen Form innerhalb seines umfangreichen Klavierwerks annahm.
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