Längst vorbei die Zeiten, in denen durch übertriebene Punktierung, schroff stakkatiertes Akkordspiel und übermäßig lange Zäsuren barocke Instrumentalwerke im Geiste der Historischen Aufführungspraxis seziert wurden. Stattdessen wehte heute im Weimarer Stadtschloss um die Mittagszeit dieses Ostersonntags der Geist der Freiheit, denn der namhafte Leiter des European Union Baroque Orchestra zelebrierte hier deutsche und dänische Cembalomusik in weitgespannten Bögen und mit langem Atem. Die individuelle Seite jeder Suite, jeder Fantasie und jedes Präludiums schimmerte hinter dem Schleier barocker Formensprache hindurch.

Ästhetische Zusammenhänge sowohl innerhalb der Werke und Gattungen als auch zwischen den Generationen der vertretenen Komponisten wurden ebenso deutlich wie stilistische Einflüsse und die Fortentwicklung einer noch von nationalem Denken freien musikalischen Rhetorik. Dabei ist Lars Ulrik Mortensen derzeit weniger als konzertierender Cembalist, vielmehr als Dirigent des Concerto Copenhagen und weiterer Orchester in Dänemark und Schweden europaweit wie international bekannt. Am Samstag vor Ostern führte er mit seinen Musikern aus Kopenhagen die Johannespassion in Schmalkalden auf. Legende bleibt sein Spiel bei der Aufnahme von J.S. Bachs Konzerten für drei und vier Cembali mit dem English Concert unter Trevor Pinnock.
Lars Ulrik Mortensens Tastenkunst zeichnet sich durch eine Darstellung aus, die über den Gestus der Musik hinaus die melodische und tänzerische Bewegung auch kontrapunktisch komplexer Sätze transparent hält. Dem Wesen der Fantasie, der Toccata und dem Präludium gemäß eignete darüber hinaus mitunter eine trancehafte Verzückung, in die sich nach Charles Burneys Beobachtungen einst der improvisierende Bach-Sohn Carl Philipp Emanuel versetzt hatte.

Die chronologische Reihenfolge in Komponistengenerationen wurde bei der Gestaltung des Programms streng berücksichtigt. Buxtehude und J.S. Bach kannten beide Johann Jacob Frobergers Werke, die schließlich in gewisser Weise die Ausformung des stylus phantasticus begünstigten. Dem dänischen Virtuosen gelang insbesondere bei der Sarabande, dem dritten Satz von Frobergers Suite in D-Dur, eine sowohl gefühlsinnige als auch rhythmisch schwingende Interpretation, während das Herzstück des Konzertmittags eindeutig Diderik Buxtehudes zwölfteiligem Variationenwerk More Palatino – im Anschluss an die sehr charaktervolle Suite in A-Dur BuxWV 243 – zukam, dessen Strukturen durch einen flotteren Zugriff bei den schnellen Sätzen noch klarer wurden als in Mortensens Aufnahme von 1998 in der Kopenhagener St.-Matthäus-Kirche.
Mit Buxtehude verbindet den Schütz-Schüler Matthias Weckmann, dessen Toccata in a-Moll im Konzert zu hören war, ein längerer Aufenthalt in Dänemark, so dass beide nicht nur als norddeutsche, sondern auch als skandinavische Orgelmeister apostrophiert werden können. Nach der leider espritfreien buffetlosen Pause standen gleich zwei Werke aus J.S. Bachs Weimarer Zeit auf dem Programm: Sowohl das Präludium in a-Moll BWV 922 als auch die Toccata in e-Moll BWV 914 entstanden um 1710 im (weiteren) Radius des heutigen Stadtschlosses.

Beim anschließenden, wohl um 1740 komponierten Präludium Es-Dur mit Fuge und Allegro BWV 998 verwandelte der dänische Cembalist den letzten Satz in ein Presto, wohl zur Pointierung des geschwinden Charakters der Schlusssätze etlicher dreisätziger Sonaten der Barockzeit. Bei der Umwidmung der Chaconne aus der Partita in d-Moll für Violine solo BWV 1004 auf das Cembalo legte Lars Ulrik Mortensen seine eigene Transkription zu Grunde. Die in Teilen atemberaubend schnelle Realisation des Zyklus führte auch hier eher zu einer Verdeutlichung des cantus firmus als dass sie dem bedeutenden Variationenwerk etwas von seiner Ausdruckstiefe genommen hätte. Dasselbe konnte von der kleinen Zugabe, die in Bachs Präludium C-Dur BWV 846 aus dem 1. Teil des Wohltemperierten Claviers bestand, gesagt werden.
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