Der Musik seiner Wahl lesend nachzuforschen kann sowohl Hören als auch eigenes Spielen oder Singen bereichern: Mit Tradition bedeutungsschwer überfrachtete Werke werden so mitunter leicht(er) zugänglich – was ebenso für die ihre Zuhörer scheinbar schroff negierenden Erzeugnisse der Avantgarde durch Selbstzeugnisse von Komponisten und Versuche wissenschaftlicher Dechiffrierung gilt. Rechtzeitig vor Weihnachten entlassen so wieder die Fachverlage ihr aktuelles Programm.

Erweitert wird etwa die Reihe der Thurnauer Schriften zum Musiktheater durch Dominic Larues Untersuchungen zur musikalischen Inszenierung von Stadt unter dem Titel Cologne SynchroniCities. Der Autor geht dabei, einem neueren Trend von Raum- und Performanztheorien in der Kulturwissenschaft folgend, von der Gleichzeitigkeit verschiedener Denkmuster zu ein- und derselben Stadt nach und widmet sich empirisch den musikästhetisch ebenso relevanten wie ergiebigen Ansichten von Köln nicht nur als City, sondern auch als Heimat und Ghetto. Aufführungen von Musik in der Metropole dokumentieren Konvergenzen in den Genre-Diskursen mit ihren „verschiedenen Dimensionen sozialer Raumproduktion“.
Ein neuer voluminöser Band über die Verbindungen zweier Künste im religiösen Raum erscheint hoffentlich noch rechtzeitig vor den Feiertagen: Wer sich für Austausch und sinnstiftende Synthese von Musik und bildender Kunst für und in Kirchen begeistert, bekommt hier ein ebenso umfassendes wie strikt systematisch vorgehendes Grundlagenwerk an die Hand. Im Rahmen der Enzyklopädie der Kirchenmusik (ISBN 978-3890076959) haben Ulrich Fürst und Andrea Gottdang in Kooperation mit anderen FachkollegInnen das verdienstvolle Handbuch jetzt herausgegeben. Dabei nimmt Die Kirchenmusik in Kunst und Architektur insbesondere den Einfluss sakraler Musik auf Bilder und ihre Thematisierung in den neueren Medien unter die Lupe.

In der mit 25 Bänden umfangreichen Reihe Große Komponisten und ihre Zeit kam der Band über Igor Strawinsky von Volker Scherliess, einem Experten in der Musik des 20. Jahrhunderts, Anfang November auf den Buchmarkt. Ausblicke auf zwei weitere Neuerscheinungen seien hier angefügt: Die von Elmar Weingarten edierte Aufsatzsammlung Der entfesselte Prometheus – Der antike Mythos in der Musik um 1900 geht auf die Beiträge zum Zürcher Festspiel-Symposium 2014 zurück. Angenehmerweise wird das redundant häufig von der Musikwissenschaft behandelte Beethoven-Ballett Die Geschöpfe des Prometheus hier nur am Rande gestreift, wesentliches Augenmerk gilt den Aktualisierungen des fortwährend Kunst stiftenden Mythenkreises durch Gabriel Fauré, Alexander Skrjabin, Hugo Wolf, Hubert Parry oder Arnold Bax. Dabei zeigt sich, wie die klassizistische Deutung im Musikwerk von einer dezidiert modernen, Vergangenes völlig negierenden Sicht auf Prometheus überwunden und begleitet wurde (Bärenreiter Verlag 2015, ISBN 978-3-7618-2156-5).

Tomasz Jasiński füllt eine wesentliche Lücke in der polnischen Musikgeschichtsschreibung, indem er die musikalische Rhetorik des polnischen Barock eingehend untersuchte. Es ist ein großer Gewinn für die europäische Musikwissenschaft im ganzen, dass dieses Buch nun in der englischen Übersetzung durch Wojciech Bońkowski beim Lang Verlag vorliegt und seine teils überraschend neuen Ergebnisse so weltweit rezipiert werden können. Dabei rücken nicht nur hierzulande praktisch unbekannte, wenn nicht vergessene Komponisten wie Franciszek Lilius, Grzegorz Gorzycki oder Damian Stachowicz in den Fokus der Aufmerksamkeit, es wird auch ein ausführlicher Überblick über die in ihrer Musik angewandten Figuren und ihre tiefere Bedeutung gegeben; als Beispiele seien hier nur der Saltus duriusculus in seinen Varianten und die Nutzung der Chromatik angeführt.
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