Purcell am Flügel?

Manche Hörer werden sich angesichts der ausufernd vielen neueren Aufnahmen von Tastenstücken aus der Zeit um 1700 fragen, ob es wirklich Sinn macht, barocke Zopfträger posthum an den Steinway zu setzen. Selbst wenn wir berücksichtigen, dass für Komponisten wie Händel und Bach die genaugenommene Besetzung eines Werks häufig nicht Priorität hatte: Woher wollen wir denn wissen, dass sich Domenico Scarlatti und Jean-Philippe Rameau einen Klang ähnlich demjenigen des im 19. Jahrhundert vervollkommneten Flügel vorstellten? Dies scheint namentlich bei Komponisten vor der endgültigen Ablösung (der noch lange bevorzugten) gezupften Cembalosaiten durch die Anschlagsmechanik des aus dem Clavichord hervorgegangenen Hammerklaviers schon gar nicht denkbar.

Der spanische Cembalist Avelino Vázquez Groba demonstriert Teilnehmern eines Seminars in Paris, wie ein historisches Cembalo klingen kann (Zzzznu, 2.3.2007).
Der spanische Cembalist Avelino Vázquez Groba demonstriert Teilnehmern eines Seminars in Paris, wie ein historisches Cembalo klingen kann (Zzzznu, 2.3.2007).

Henry Purcell verband, als er seine Preziosen für die Sammlung Musick’s Handmaid II (1689) zusammenstellte, den Tonsatz mit dem Klang des Cembalos und der Orgel, nicht mit Gedanken an das leise klingende und damit für seine eigenen Konzerte überhaupt nicht geeignete Hausspielzeug Clavichord – noch an dessen imaginative Weiterentwicklung zu einem voluminöseren Instrument. Daher finden es heute wenigstens Klangpuristen sonderbar, wenn Roland Alexander 2010 die Stücke des seinerzeit berühmten Londoners unter dem CD-Titel A New Ground erfolgreich an einem modernen Klavierinstrument demonstrierte.

Bestimmte heutige Vorstellungen von Klanglichkeit wie auch die Herausarbeitung von Nuancen der Dynamik und des Halls (wie sie das Cembalo außer der Oktavverdopplung und dem Registerwechsel eben nicht bietet) mögen damit bedient werden, aber mit den Klangideen des Komponisten hat dies nichts zu tun. Natürlich weiß heute außer wenigen Spezialisten kaum jemand, wie ein Cembalo vor der Einführung der temperierten Stimmung mit diesem Repertoire wirklich geklungen haben mag, aber es kann wenigstens als legitimes Anliegen bezeichnet werden, sich dem historischen „Original“ annähern zu wollen.

Er war einer der ersten, die - fern vom Willen zur Reproduktion eines originalen Klangs - Bachs Musik für den Jazz nutzbar machten und Verbindungslinien zogen: Jacques Loussier hier bei einer Feier in München (Harald Bischoff 2004).
Er war einer der ersten, die – fern vom Willen zur Reproduktion eines originalen Klangs – Bachs Musik für den Jazz nutzbar machten und Verbindungslinien zogen: Jacques Loussier hier bei einer Feier in München (Harald Bischoff 2004).

Alles andere ist ebenso legitimes Spiel mit den Möglichkeiten und manchmal vielleicht auch ein zusätzlicher Anlass, die bisher nicht am Repertoire der so genannten E-Musik Interessierten (wieder) ins Boot zu holen. Und schließlich kann auch mit Bach als einem imaginären Vordenker des Jazz – seit den Zeiten des Jacques Loussier Trios und des Pianisten Friedrich Gulda – eine Brücke gebaut werden, die für erneuertes Interesse an der in eine Nische des Musikbetriebs abgedrängten Klassik sorgt und den Konzertsälen wieder mehr Publikum beschert. Was die Förderung der Ausbildung betrifft, sollte man sich ja nicht allzu viel Sorgen machen, wenn begabte MusikerInnen weiterhin dank Stipendien die Möglichkeit haben, sich mit anspruchsvollem Repertoire einen (weltweit bekannten) Namen zu erarbeiten. Das nicht erst seit gestern stattfindende Verschwimmen der Grenzen zwischen den Sphären Unterhaltung und Klassik ist eine weitere Spielart in der Geschichte der musikalischen Gattungen und sorgt für neue Anstöße und Entwicklungen. So ist es wohl unvermeidlich, dass die Verteidiger der historischen Aufführungspraxis zwar am Ball bleiben und weiterhin genügend Zuhörer finden, aber längerfristig eben auch nur einen speziellen Nischenplatz einnehmen werden.

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