Eine Forschergruppe um Jean-Philippe Echard, tätig am Musée de la musique in Paris, und Loïc Bertrand von der Firma Ipanema in Gif-sur-Yvette konnten jetzt ein „Geheimnis“ lüften: Antonio Stradivari (1644 – 1737) benutzte zur Generierung des braun leuchtenden Lacks für seine einzigartigen Geigeninstrumente um den Anfang des 18. Jahrhunderts weithin bekannte und leicht zu beschaffende Stoffe. Über eine Ölschicht trug der legendäre Instrumentenmacher eine weitere minimal getönte Öl-Harz-Schicht auf. Bei der „Sarasate“-Violine von 1724 konnte in der oberen Schicht der rote Farbstoff Zinnober ermittelt werden. Außerdem wurden bei drei anderen Modellen unter Anwendung diffiziler Analysetechniken weitere rote Pigmente gefunden: Eisenoxide dieser Beschaffenheit und ein Anthrachinonstoff, bei dem es sich vermutlich um Karmesin-Lack auf Aluminumoxyd handelt.

In einer früheren Phase seines Schaffens verzichtete Stradivari offenbar noch auf zusätzliche Farbstoffe, denn in der oberen Lackschicht des „Allongé“ genannten Modells von etwa 1692 sind keine Pigmente enthalten. Welche Auswirkung hatte nun aber die Lackierung neben der spezifischen Holzart und deren Verarbeitung auf den Klang der Instrumente? Um 1700 hatte sich der Meister bekanntlich von seinem Lehrer Nicola Amati „emanzipiert“, denn er baute nun mit seiner eigenen Materialmischung. Der Boden bestand aus Ahorn, die Decke aus Fichte, die Klötzchen und Leisten des Instruments aus Weide. Außerdem verwendete er eine niedrigere Wölbung und vergrößerte – um einen volleren Ton zu erzielen – das Format der Instrumente (zu denen übrigens auch Bratschen und Celli zählten). Das Fichtenholz, das er für die Decke eines Cellos verwendete, hat eine Dichte von lediglich 390 Kilogramm pro Kubikmeter , während das uns heute bekannte 450 Kilogramm je Kubikmeter aufweist. Wie der Klang durch die Wahl der Beschichtung beeinflusst wird, ist hingegen noch kaum geklärt.

Eine Rolle bei der Erzeugung des besonders angenehm-vertrauten, da dem gesprochenen „E“ und auch „I“ ähnlichen Einzeltons spielen dem Physiker Martin Schleske gemäß offensichtlich spezifische asymmetrische Abweichungen der Materialstärke. Dies könnte allerdings auf einen Einfluss auch des Umfangs und der Art der von Stradivari aufgetragenen Lackschicht hindeuten. Heute sind in dieser Hinsicht laut einem weiteren Physiker, Heinrich Dünnwald, aber keine Rückschlüsse mehr möglich, da der ursprüngliche Lack ja abgenutzt worden sei und häufig von späteren (Restauratoren) eine neue Schicht aufgetragen wurde. Er wies übrigens auch nach, wie sich der Klang moderner Geigen in Richtung auf die Stradivari durch Anbringen eines kleinen Gewichts an einer ominösen Stelle am Rand des Stegs verbessern ließ.

Da die originalen Stradivari-Instrumente in einem Frequenzspektrum zwischen 2000 und 4000 Hertz spielen, für den das menschliche Ohr am empfindlichsten ist, erscheint ihr Klang heute so unnachahmlich perfekt: Selbst ein extrem leise gestrichener Ton ist auf einer solchen Violine auch im großen Konzertsaal weithin zu hören. Angeblich existieren heute um die 620 Geigen aus der Werkstatt Stradivaris, doch liegt die tatsächliche Zahl der echten wohl erheblich darunter, da etliche unerkannte Fälschungen und Kopien kursieren sollen. David Oistrach verfügte über ein dem Cremoneser Meisters zugeschriebenes Instrument, aktuell besitzt der griechische Dirigent und Geiger Leonidas Kavakos eines, außerdem Anne-Sophie Mutter und der zusammen mit André Previn mit einem Grammy Award ausgezeichnete amerikanische Violinist Gil Shaham.
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