Giulio Mercati an der baltischen Ausnahmeorgel

Einer der weltweit prächtigsten Orgelprospekte des Barock und gleichzeitig die „Perle“ der baltischen Instrumentenbaukunst befindet sich in der Kathedrale zu Oliva, einem Stadtteil Danzigs, nicht weit entfernt von den mittlerweile massentouristisch erschlossenen Stränden von Sopot. Schon insofern war es für den international gefragten Mailänder Solisten und Hochschuldozenten Giulio Mercati am vergangenen Dienstagabend eine besondere Empfehlung, im Norden Europas gerade an dieser Orgel das nunmehr 58. Orgelmusikfestival der Filharmonia Bałtycka bereichern zu können. Die handwerkliche Arbeit an der großen Orgel über dem Haupteingang spannt sich vom Jahr 1763 bis 1968, als die Modernisierung des fünfmanualigen Instruments mit seinen insgesamt 95 Registern von Zygmunt Kamiński aus Warschau abgeschlossen wurde. Die kleine Orgel an der südlichen Seite des Querschiffs stellt ein Werk von Johann Georg Wulff dar und erlebte ihre Einweihung bereits 1680.

Die prächtige große Orgel der Kathedrale zu Oliva stammt aus dem 18. Jahrhundert (H.-P. Mederer).
Die prächtige große Orgel der Kathedrale zu Oliva stammt aus dem 18. Jahrhundert (H.-P. Mederer).

Den Hintergrund für Giulio Mercatis Teilnahme an der bedeutenden Konzertreihe unter Regie von Titularorganist Roman Perucki könnte die Aufführung von The Tempest im Rahmen des Danziger Shakespeare-Festivals abgegeben haben, denn er selbst komponierte Musik zu diesem Schauspiel. Er hätte damit die Gelegenheit genutzt, zwei Tage zuvor, nämlich am 4. August, dem anspruchsvollen Hörerpublikum im kulturell wie merkantil bedeutsamen Drei-Städte-Ensemble Danzig, Gdynia und Sopot Werke von J.S. Bach, Brahms, Liszt und Guilmant nahezubringen. So verwundert es nicht, dass er gerade von Bach weniger häufig in Orgelkonzerten zu hörende Werke spielte, neben zwei virtuoseren das eher getragene Choralvorspiel Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr. Die deutschen romantischen Komponisten schrieben bekanntlich nicht allzu viel für die Orgel, als umso verdienstvoller erwies sich also der nuancierte und seiner Faktur entsprechend differenziert durchregistrierte Vortrag von Brahms‘ Präludium und Fuge g-Moll sowie in noch höherem Maße des lyrisch-empfindsam intonierten kleinen Vortragsstücks von Franz Liszt.

Die gotische Kathedrale von Oliva steht auf dem Grund eines ehemaligen Zisterzienserklosters mit romanischer Kirche (H.-P. Mederer).
Die gotische Kathedrale von Oliva steht auf dem Grund eines ehemaligen Zisterzienserklosters mit romanischer Kirche (H.-P. Mederer).

Alexandre Guilmant (1837 – 1911) wirkte nicht nur seit 1871 als Nachfolger von Charles-Alexis Chauvet an der Kirche La Trinité in Paris, sondern sticht auch durch seine eigene, technisch herausfordernde und symphonisch ausgerichtete Komposition von acht umfangreichen Orgelsonaten hervor, von denen Giulio Mercati an diesem Abend eine der virtuosesten präsentieren konnte. Die für ihre Entstehungszeit sehr modern wirkenden harmonischen Rückungen und die raffinierten Akkordbildungen lassen den Hörer kaum glauben, dass Guilmant so fest in der traditionellen romantischen Musik Frankreichs verankert war. Hier ebenso wie bei der Zugabe aus demselben Reservoire war Mercati ganz in seinem Element; die Welle der Begeisterung an Orgelmusik des (späten) 19. Jahrhunderts erfasste die zahlreich anwesenden Zuhörer unmittelbar. Dass Bach nicht in historisierendem Gewand, sondern aus der Perspektive romantischer Rezeption „gelesen“ wurde – spürbar vor allem an den weniger rhythmusbetont und ohne Portato ausgeführten fugierten Passsagen im Tutti – tat dem berückenden Gesamteindruck keinen Abbruch.

Der selbst als Virtuose bekannte Organist Alexandre Guilmant (sitzend in der Mitte) im Kreis seiner Kollegen Charles-Marie Widor und Eugène Gigout (ca. 1895, Bibliothèque nationale de France, p.d.).
Der selbst als Virtuose bekannte Organist Alexandre Guilmant (sitzend in der Mitte) im Kreis seiner Kollegen Charles-Marie Widor und Eugène Gigout (ca. 1895, Bibliothèque nationale de France, p.d.).

Am 14. August wird die polnische Virtuosin Hanna Dys im Rahmen der baltischen Orgelkonzerte auftreten, am 18. August das Duo Federica Iannella und Silvio Celeghin, das Abschlusskonzert bestreitet Domorganist Roman Perucki zusammen mit Łukasz Długosz.

Der Dank geht an Dr. Jacek Rozwadowski für den ermöglichten Besuch dieses Konzerts.

 

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