Mit einer gewissen Verzögerung setzte in Norwegen die Entwicklung der romantischen Musik ein. Eine sonst übliche öffentliche Förderung von Komponisten gab es hier im hohen Norden Europas lange Zeit nicht, da kein eigener Königshof existierte, von dem aus die Entfaltung eines breiteren Musiklebens möglich gewesen wäre; vielmehr hing es wesentlich vom Engagement der Organisten, Kantoren und Stadtmusikanten ab, die lange Zeit damit auch das Repertoire prägten. Seit dem 18. Jahrhundert dominierten Tonsetzer dänischer und deutscher Herkunft die Konzertprogramme der Städte.

Den Auftakt zu einer weitreichenden Durchsetzung nationalromantischer Musik gab schließlich im Jahr 1824 Waldemar Thrane mit dem ersten norwegischen Singspiel Fjeldeventyret. Darauf konnte Halfdan Kjerulf (1815 – 1868) bauen, als er nach einem nicht beendeten Jurastudium, Jahren der Fürsorge für seine Herkunftsfamilie und der Tätigkeit als Auslandskorresponent für die norwegische Zeitung Den Constitutionelle seine Romanzen und Chorgesänge, vor allem aber Kunstlieder zu komponieren begann, in denen er auf die heimatliche Folklore zurückgreifen konnte. Demgegenüber wird aus mitteleuropäischer Perspektive häufig der Einfluss Mendelssohns und Schumanns auf sein Schaffen überschätzt. Deren Werke lernte er durch seine spätere Studienzeit, die er – bedingt durch den selbstlosen Einsatz für die Familie – erst im Alter von 35 Jahren beenden konnte, in Leipzig kennen. Zuvor jedoch übte während der wenigen Semester, die er in Kopenhagen dank eines Stipendiums mit intensiven Studien in Musiktheorie verbringen konnte, sein Lehrer Niels Wilhelm Gade bedeutenden Einfluss auf ihn aus.
Aus Gades Unterricht, nicht zuletzt aber auch durch die Verwurzelung dänischer Traditionen in Norwegen, resultierte so auch eine komplette Sammlung Dänischer und Norwegischer Lieder. Unter Kjerulfs bekanntesten Liedern finden sich die heute in norwegischen Konzertprogrammen fest etablierten Ingrids Vise (1853), Synnøves Sang (1853) und Paa Fjeldet (1867), die ersten beiden nach Lyrik seines Landsmannes Bjørnstjerne Bjørnson. Der Komponist, an dessen Schreibtisch ebenso viele Klavierstücke entstanden, kehrte 1851 nach Christiana zurück, wo er unter anderen die angehenden Komponistinnen Agathe Backer-Grøndahl und Erika Nissen unterrichtete. Edvard Grieg widmete seinem Andenken ein musikalisches Monument. Beim Label Simax spielte Einar Steen-Nokleberg unter Vorranstellung des Frühlingslieds Klavierwerke von Halfdan Kjerulf ein (B00005NY7I, 2002).
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