Betörend elegante Stücke für Holzbläser accompagnati

Der seinerzeit in Mitteleuropa fast gänzlich unbekannte schwedische Glashüttendirektor und spätere Betriebsleiter einer heimischen Sägemühle konnte im Alter von vierundfünfzig Jahren bereits auf eine Karriere als Geschäftsführer eines orthopädischen Instituts zurückblicken. Scheinbar ganz nebenbei machte er für etliche, die ihn zu dieser Zeit kannten, auch noch Musik. Diese war das eigentliche Metier des Stockholmers, denn ab origine beinahe, schon mit sechzehn Jahren spielte er Violine in der schwedischen Hofkapelle und komponierte viel.

Auf der Orgelempore der kapelle zu Burg Reichenstein finden sich Fagott und Horn im Ensemble - wie in Franz Berwalds beliebtem Quartett (Wolfgang Sauber, 2013)
Auf der Orgelempore der kapelle zu Burg Reichenstein finden sich Fagott und Horn im Ensemble – wie in Franz Berwalds beliebtem Quartett (Wolfgang Sauber, 2013)

Die Rede ist von einem bedeutenden mutmaßlichen Schüler des Wahldänen und Lebemanns Édouard Du Puy, nämlich Franz Berwald (1796 – 1868), den nicht etwa widrige Umstände vom musikalischen Geschäft abbrachten, sondern ein Umzug nach Berlin. Dort beschäftigte er sich höchst erfolgreich mit orthopädischer Gymnastik, die den Armen zuteil kommen sollte und eröffnete in der noch jungen Branche ein eigenes Unternehmen. In Wien heiratete er 1841 seine Berliner Mitarbeiterin Mathilde Scherer. Trotz aller Bemühungen erhielt er erst 1867 eine Professorenstelle für Komposition, nachdem er drei Jahre zum Mitglied der Königlichen Schwedischen Musikakademie ernannt worden war. Zwischenzeitlich beschäftigten ihn wiederum die angedeuteten fachfremden Engagements im nordschwedischen Sandö.

Von bestechender Eleganz, versteckter und offener Lustigkeit, jähen Einfällen und ruheloser musikantischer Motorik gleichermaßen künden seine Kammerwerke insbesondere für Holzbläser. Sie lassen nur ahnen, welcher Schatz verloren ging, da Berwald seine Jugendwerke missachtete und  wohl selbst vernichtete, denn sie mussten wegen ihrer avantgardistischen Modernität dem Publikum damals fast zwangsläufig missfallen. Insbesondere bemerkenswert und heute sehr populär sind das besonders facettenreiche Quartett für Klavier, Klarinette, Horn und Fagott aus dem Jahr 1819, in dem er vorübergehend nicht mehr für die Hofkapelle tätig war. Ebenso wenig vergessen werden sollte sein Septett für Klarinette, Fagott, Horn, Violine, Viola, Cello und Kontrabass von 1828, dem Jahr, als der junge Geiger Stockholm verließ.

Gemälde des späteren Stockholmer Kompositionsprofessors Franz Berwald (1796 - 1868) von einem unbekannten Maler(?) (p.d.)
Gemälde des späteren Stockholmer Kompositionsprofessors Franz Berwald (1796 – 1868) von einem unbekannten Maler(?) (p.d.)

Die schwungvolle Rhetorik des Quartetts in Es-Dur wird immer wieder abgebremst durch verhaltene elegische Seitenpassagen. Von verspielter und gleichzeitig tiefsinniger Art ist das kontrastreiche, beständig wechselnde Kreuzfeuer aus Dur- und Mollabschnitten, die gerne in Halbschlüssen und anderen unerwarteten Zäsuren plötzlich enden und eine jeweils langsamere oder schnellere Gangart nach sich ziehen. Gelegentlich fühlt man sich an Beethovens so genannte Gespenstersonate erinnert und an die spukliebende Romantik der Zeit zwischen 1820 und 1840 wie sie vor allem E.T.A. Hoffmanns mehrbödige Prosastücke verkörpern. Berwalds früher Kammermusik eignet aber gleichzeitig ein heiterer, freier Geist, der von den Nachtseiten der Romantik so gar nichts zu wissen scheint, vielmehr vom ausgelassenen und unbeschwerten Musizieren in den ländlichen Gegenden Schwedens. Volkstänze klingen an, werden aber durch Mollharmonien schnell wieder ironisch verfremdet, bevor der muntere Duktus einfacher Melodien wieder den Verlauf des Satzes bestimmt. Manchmal schielt ein schalkhafter Troll um die Ecke …

Vermutlich Berwalds Kompositionslehrer Lebemann und in Skandinavien erfolgreicher französischer Komponist Édouard Du Puy (Det Kongelige Bibliotek Kopenhagen 2007 pd-old-base)
Vermutlich Berwalds Kompositionslehrer in Stockholm: der Geiger, Lebemann und in Skandinavien höchst erfolgreiche französische Komponist Édouard Du Puy (Det Kongelige Bibliotek, Kopenhagen, 2007 pd-old-base)

Für das ebenso in seiner Instrumentation abwechslungsreiche Septett von 1828  war tatsächlich Beethovens Originalität in Sachen Kammermusik maßgebliches Vorbild. Dessen gleichnamiges Werk, sein op. 20  beginnt ja gleichermaßen mit einer Adagio-Einleitung. Im zweiten Satz bricht Berwald mit eingefahrenen Mustern der Wiener Klassik, speziell der Sonatenhauptsatzform, indem er den langsamen Teil und das Scherzo in eins zusammenzieht. Der schnelle Abschnitt bildet den genauen Kontrast zum liedhaften Adagio. Reich an Ideen schließt sich das Finale „Con spirito“ an.

 

 

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