Mit Musik gegen Fremdenfeindlichkeit

Fremd ist jeder, selbst in einem Land seiner Muttersprache. Die Künste und vielleicht sogar vorrangig die Musik vermögen Grenzen zwischen dem Fremden und dem Vertrauten zu überwinden. Wir leben heute selbstverständlich in pluralistisch ausgerichteten Gesellschaften und Kulturen: Im Jahr 2015 ist in der westlichen Welt die Akzeptanz ostasiatischer Musik, die sich an völlig andersartigen Tonsystemen orientiert, gegenüber den Jahren um 1980 deutlich gewachsen. Was fremd ist, rückt näher und wird vertrauter. Dies bedeutet keine Amalgamierung des regional Individuellen zu einer unitären, quasi-diktatorischen Geschmackskultur. Vielmehr lässt sich überall erkennen, dass sich Stile gegenseitig beeinflussen und befruchten, ohne an persönlicher Idiomatik zu verlieren. Das Stichwort ist „Bereicherung“ durch das Fremde und das Zusammenwirken mit dem Fremden – auch angesichts weltweiter Krisenlagen und Probleme.

Kent Naganos Plädoyer für die klassische Musik gilt weltweit und schrankenlos (ISBN 978-3827012333 Berlin Verlag 2014).
Kent Naganos Plädoyer für die klassische Musik gilt weltweit und schrankenlos (ISBN 978-3827012333 Berlin Verlag 2014).

Dem bildungsfernen „Wutbürger“, der sich durch PEGIDA und ähnliche Bewegungen hysterisieren lässt, stellt sich das friedliche und engagierte Zusammenspiel der Menschen aus verschiedenen Teilen der Erde entschieden entgegen. Für Musikstudenten und Orchesterkollegen unterschiedlicher Herkunft etwa ist es (seit langem) selbstverständlich, dass sie sich beim Üben, in den Proben und im Konzert mit Teamgeist, Respekt und Verständnisbereitschaft begegnen. Nicht zuletzt auch in diesem Sinn hat der kanadische Dirigent Kent Nagano für die klassische Musik in seinem vor kurzem erschienenen Buch Erwarten Sie Wunder!: Expect the Unexpected! eine Lanze gebrochen. Sehr deutlich haben sich im Januar 2015 beispielsweise die Münchener Kulturinstitutionen wie die Staatsoper mit ihrem Ensemble gegen Fremdenfeindlichkeit gewandt. Oder man denke zurück an das legendäre Konzert des Jahres 2000 mit Justus Frantz am Dirigentenpult im Berliner Reichstag. Was hierzulande für viele eine Hürde darstellt, nämlich auch das Fremde zu schätzen und in sein eigenes Leben und Weltbild aufzunehmen, ist andersherum seit vielen Jahrzehnten eine Selbstverständlichkeit: Man denke nur an die hochbegabten Klavier- und Cembalostudenten aus Südkorea, die sich die europäische Kunstmusik zu eigen machen und in ihrem Fach heute – so etwa Lang Lang – als weltweit engagierte Virtuosen auftreten.


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