Aus gewissen Koalitionskämpfen keine Spur von Parodie – dafür dominierte in der Erfurter Premiere von Mozarts Entführung aus dem Serail die tagesaktuelle Anspielung auf Terroristen, während in der Oper selbst von Piraten die Rede ist. Pussy Riot und ihr russisches Dilemma standen Pate, um der Ouvertüre den geschlossenen Vorhang zu ersparen, wobei das gemeinsame Verbindende mit der Handlung von Stephanies Libretto in der gewaltsamen, willkürlichen Gefangensetzung der Musikerinnen bestand.

Der norddeutsche Singspieldichter Christoph Friedrich Bretzner, Pate von Mozarts Vorlage, griff bekanntlich selbst auf eine englische Vorlage zurück, nämlich auf die populäre, 1769 in London entstandene Operette The captive (1769). Es handelte sich bei der Umarbeitung Bretzners nicht um ein Werk der hohen Literatur, woran auch Gottlieb Stephanies Adaptierung für das Musiktheater nach den Vorstellungen des Komponisten nichts wesentlich zu ändern vermochte. Sie handelte den beiden Kollaborateuren allerdings Bretzners wütenden Protest ganz im Sinne der Wahrung seiner Urheberrechte ein …

Durch die gemäßigt temperamentvolle, eher gezügelte Leitung des Philharmonischen Orchesters gelang es Joana Mallwitz – abgesehen von ihrer exakten, ton- und taktgetreuen Detailarbeit – den Geist der Opernkomposition, die ja sowohl von der neapolitanischen Oper als auch von Stilmerkmalen der so genannten Mannheimer Schule geprägt ist, zu transportieren. Dem entspricht auch die Umsetzung des von Mozart nur angedeuteten orientalischen Kolorits zu Beginn: Janitscharengemäßes Beckenrasseln ergänzt lediglich an manchen Stellen den vollen Bläsereinsatz mit Pauken im klassischen Orchesterapparat. Der Eindruck orientalischer Fremdheit verfliegt noch mehr, wenn am Schluss des 3. Akts nach Wiener Singspielweise ein Vaudeville als Rundgesang zu Ehren des schließlich großmütigen Pascha Selim einsetzt.

Mit voller Stimmkraft erklomm das Quartett der beiden heimlichen Liebespaare im zweiten Akt den musikalischen Höhepunkt der Aufführung. Sehr klar und prägnant präsentierte sich der dank seines Berliner Don Basilio in Le nozze di Figaro mit Mozart vertraute Bariton von Paul Kaufmann als Pedrillo, der Tenor Uwe Stickert glänzte in der Rolle von Konstanzes Liebhaber Belmonte in zwei der Soloarien mit besonderer Leistung in seinen stimmlichen Ausdrucksfähigkeiten, die Sopranistin Romy Petrick als Blonde akzentuierte ebenso transparent wie stimmlich voluminös. Gregor Loebels Osmin verfügte von Anfang an über große vokale Brillanz.

Schauspielerisch besonders gelungen zwischen den erforderlichen Registern des Aufbrausens und der Mäßigung vermittelte sich Robert Wörles Auftritt als Pascha Selim mit seinem gewissen Schalk hinter den Ohren. Das moderat moderne, sehr ausgewogene Bühnenbild, angereichert durch einige Überraschungseffekte wie Romy Petricks Punkkostüm oder den Flachbildschirm im Gemach, war sicherlich auf die hochproduktive Zusammenarbeit der türkischen Regisseurin Yekta Kara mit Ausstatter Hank Irwin Kittel und dem Dramaturgen Berthold Warnecke zurückzuführen. Dass angesichts der im Hintergrund aufgebauten bedrohlichen Ereignisse um die IS-Entführungen komödiantischer Humor, wie er die Oper sonst ja auch auszeichnet, in die zweite Reihe verbannt wurde, mag dem Taktgefühl von Inszenierung und Gesamtkonzept zugeschrieben werden. Drei Vorhänge hatte dieser Abend jedenfalls wenigstens verdient …
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