Studiert ein Dirigent erstmals Carters Variations for Orchestra ein, wird er seinen Musikern erst einmal Zeit zum Atemholen lassen müssen: Denn der persönliche komplizierte Stil des noch hochbetagt schaffenden New Yorker Komponisten (1908 – 2012) aus der Schule von Walter Piston und Gustav Holst sah schon früh neben eher technischen Klippen verschiedene, gleichzeitig ablaufende Tempi vor, die Versiertheit und Taktgefühl in hohem Maß voraussetzen. Allerdings entschädigen dafür einige Werke des Amerikaners mit kuriosen Instrumentenkombinationen, die für sich schon das Hineinhören lohnen …

Das Doppelkonzert für Cembalo, Klavier und zwei Kammerorchester von 1961 lässt sich noch als Hommage an den Neoklassizismus verstehen, denn auch Strawinsky bediente sich des im 19. Jahrhundert völlig verstaubten Instruments aus der „Zopfzeit“ – und im selben Jahrzehnt komponierte unter anderem Györgyi Ligeti Solostücke für das Cembalo. Von der neoklassizsistischen Tradition emanzipierte sich Carter spätestens seit 1950 in die künstlerische Unabhängigkeit, als er sein erstes Streichquartett in Tucson im Bundesstaat Arizona verfasste, und führte zunehmend dissonante Klangstrukturen in seine sehr persönliche Schreibweise ein – ebenso wie er den Instrumenten jeweils unterschiedliche Tonvorräte und -intervalle wie auch Spielvorschriften zuordnete. Aus dem selbstbewussten Experimentieren mit neuen Möglichkeiten entwickelte sich zwanzig Jahre danach eine Konvention, die aus einem umgrenzten Tonrepertoire bestand und in einer eigenen Set Theory angelegt war. Die charakteristische, von da an praktizierte Formbildung beschrieb Carter mit einem musical discourse zwischen den Instrumenten, die auch abweichend von der Technik romantischen Zuschnitts auf besondere Weise zu spielen sind.
Interessante Klangmischungen ergeben sich gleichermaßen in den kammermusikalischen Enchanted Preludes (1985) für Flöte und Violoncello, in Trilogy für Oboe und Harfe (1992), in Mosaic für Harfe, Bläser und Streicher (2004) oder auf symphonischem Gebiet mit Oboe, Concertino und Orchester (1987) und in den Two Controversies and a Conversation für Klavier, Schlagzeug und Orchester (2010) des Vierundneunzigjährigen. Eigentümliche Klangfärbungen ergeben sich auch dank der Zusammenstellung von Trompete, Posaune, Harfe, Mandoline und Gitarre in Luimen (1997).

Nach Studienjahren in Harvard und Paris bei Nadia Boulanger, wo er promovierte, hatte Carter auch Komposition zu unterrichten begonnen. Seit 1945 lebte er in Greenwich Village, einem aparten Stadtteil von Manhattan, nachdem er von einem vierjährigen Lehrauftrag am St. John’s College von Annapolis in Maryland zurückgekehrt war. Noch mit neunzig Jahren komponierte er die abendfüllende, in Berlun uraufgeführte Oper What’s next? Nicht zu vergessen, dass der seit 1950 progressiv und konzeptionell arbeitende Komponist mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde und für sein Lebenswerk 2009 mit dem Grammy Award geehrt wurde. Daniel Barenboim und Pierre Boulez gehörten lange zu den Förderern seines Schaffens.
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