Wohin man auch sieht und bei allem Verständnis für Nischenmarketing: Zumindest bei den großen Labels macht sich Uniformität breit, die natürlich auch anderswo in den Fabriken der Kulturindustrie zu beobachten ist und die Klassikbranche noch bis vor wenigen Jahren kaum tangiert hat: Es geht vor allem darum, einen Star aufzubauen und bei der Stange zu halten, die Werkeinheit verliert weit abgeschlagen gegenüber dem Potpourri zu Ehren des hofierten Musikers, die Orchester landen in der Beachtung ebenso wie oft der Dirigent in der zweiten Riege und kommen häufig nicht einmal mehr bei den Bookletabbildungen zur Geltung.

Aber haben es die überdurchschnittlich rentablen großen Klassikproduzenten wirklich nötig, sich am Gängelband des Allerweltskommerz führen zu lassen? Gerade im Fall der so genannten ernsten Musik gibt es wenig Anlass, am Wert eines gut recherchierten, umfassenden und informationsdichten Beihefts zu zweifeln, das letztlich ein gewichtiger Grund für den Kauf des physischen Produkts – und nicht des MP3-Downloads – ist! Qualität sollte noch immer über reines Vertriebsmarketing gehen und ihren Preis kosten. Schließlich proben die Orchestermusiker nicht beiläufig Stunden, Tage, Wochen für eine gelingende Aufnahme … Aber oft sind es die kleineren spezialisierten Labels, die dieses Kriterium – ebenso wie das der Originalität, die wichtig ist, um Aufmerksamkeit zu wecken – noch erfüllen.
Es gibt noch viel zu entdecken und ob sich mit der 193. Aufnahme von Beethovens 1. Symphonie genügend Hörerpublikum finden lässt, scheint zweifelhaft, es sei denn, man wollte sich nur an Einschaltquoten bei den wenigen verbliebenen Klassik (und anderes)-Sendern orientieren, aber dafür tut es ein Kurorchester auch. Originalität hat ebenso ihren Preis: Recherchen in Archiven, Suchen unter Dachböden, Manuskriptforschung in Lesesälen sind eben schwere Arbeit, bringen aber doppelte Aha-Erlebnisse beim Publikum und bei Musikwissenschaftlern, wenn es so weit ist und ein neues Ballett oder eine bisher verborgene Barockoper aus der Taufe gehoben wird. Daher täten die Labels gut daran, sich mehr um Ersteinspielungen von Notenfunden zu kümmern, denn mit dem ganz Neuen, wenn es qualitativen Maßstäben standhält, lassen sich auch neue Hörer für das klassische Repertoire gewinnen.
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